Die Stunde Der Vampire
hatte gehofft, Leo habe vielleicht hämisch vor ihr triumphiert. Dann wäre sie zumindest im Bilde.
»Es tut mir leid, Alette. Leo war so schnell, und Bradley hat ihn nicht kommen sehen.«
»Nein, das hat er wohl nicht. Wahrscheinlich ist es schnell passiert, schmerzlos?«
»Genickbruch.«
»Kitty.« Ihre Hände waren nun frei, und sie legte sie mir auf die Schultern, packte richtig zu. Ohne die Kruzifixe war sie stark, sehr stark, was sie kurzzeitig vergessen zu haben schien. Sie drückte zu, kniff mich, und mir blieb nichts anderes übrig, als mich dagegenzustemmen, damit sie mich
nicht aus dem Gleichgewicht brachte. »Es sind meine Kinder, begreifen Sie? Meine Kindeskinder. Ich habe mich all die Jahre um meine Familie gekümmert. Ich habe für sie gesorgt, habe sie heranwachsen und gedeihen sehen. Mehr wollte ich nicht, nur dass sie gedeihen. Verstehen Sie?«
Allmählich verstand ich tatsächlich. Bradley war ihr Urenkel. Ebenso Tom und Emma, die gesagt hatte, ihre Familie sei schon seit Jahrzehnten bei Alette gewesen. Alettes Kontaktleute bei der Polizei, in der Regierung â ebenfalls Nachfahren. So eine Loyalität beruhte auf Blutsbanden. Machte der Umstand, dass es sich mittlerweile um entfernte Verwandtschaft handelte, für Alette einen Unterschied? Ich dachte an die ganzen Porträts im Esszimmer, die Fotografien in der Eingangshalle, im Salon, das alles waren ihre Kinder. Sie bewahrte Bilder ihrer Familie im ganzen Haus auf, wie jede liebende Mutter.
»Alette, wir müssen uns beeilen, sie werden jeden Augenblick wieder herunterkommen.« Mal ganz abgesehen von der Sonne, die im Begriff war, direkt vor ihr aufzugehen. Ich griff nach ihren Händen und versuchte, sie von dem Stuhl zu ziehen.
»Einen Augenblick, Kitty â¦Â«
»Herrje, hat es hier einen Wasserrohrbruch gegeben?« Ich hatte auf dem nassen Teppich gekniet. Meine Jeans war feucht.
»Weihwasser. Ich sitze darin. Ich kann nicht gehen.«
Ihre FüÃe waren nackt. Nicht nur das, sie waren verbrannt, das Fleisch war rot und glänzte, als leide sie an einem Ausschlag. Das Rot war von ihren FuÃsohlen emporgekrochen
und bedeckte jede Stelle, die nass geworden war. Selbst wenn sie es geschafft hätte, sich zu befreien, hätte sie sich nicht von der Stelle rühren können. Ich roch einen Hauch verbrannten Fleisches.
Sie sah mich nüchtern an, obwohl das Weihwasser sie wie Säure peinigen musste.
»Na, das ist ja prima.« Während ich mich umsah, versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich hatte es nicht so weit gebracht, dass ich mich jetzt wegen eines durchweichten Teppichs geschlagen geben würde. »Wenn diese Kerle so viel von dem Zeug hatten, wieso haben sie Sie dann nicht einfach damit übergossen?«
»Das hätte mich eventuell nicht umgebracht.«
Und wer immer dies getan hatte, wollte, dass Alette ihren eigenen Tod auf sich zukommen sähe, durch das Fenster, als Folter.
Mit aschfahlem Gesicht warf sie einen Blick auf den blassen Himmel. Ihre Miene wurde zu einer stoischen Maske.
Ich konnte die Vorhänge nicht einfach zuziehen. Sie standen nicht offen; sie waren entfernt worden, vollständig entfernt. Ich musste Alette von hier fortbringen. Von oben waren immer noch Schritte zu hören, doch die Soldaten würden in wenigen Augenblicken wieder hier sein.
»Ich werde Sie tragen«, sagte ich und kniete erneut neben ihrem Stuhl nieder. Ich hatte Widerrede erwartet, dass sie mit ihrem britischen Akzent und ihrer echt britischen Selbstbeherrschung etwas über Würde vor sich hin murmeln würde. Sie tat es nicht. Schweigend legte
sie mir die Arme um den Hals und hielt sich an mir fest, als ich sie hochhob und trug. Alette war viel leichter, als ich erwartet hatte. Sie fühlte sich vertrocknet und hohl an.
Ich hatte keine Ahnung, wohin ich sie bringen sollte. Nach drauÃen konnte ich mit ihr nicht; nicht wenn das Tageslicht so nah war und sich kein Zufluchtsort in greifbarer Nähe befand. Panisch sah ich mich um.
»Unter der Treppe befindet sich ein Stauraum. Die Tür ist da drüben, hinter der Wandtäfelung verborgen.«
Als sie darauf deutete, konnte ich den Umriss einer Tür ausmachen. Ich setzte Alette ab und stemmte die dünne Furnierholztür auf, wobei ich angesichts des Lärms, den ich verursachte, heftig zusammenzuckte. Leise, ich musste leise sein.
Alette lehnte sich an mich,
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