Die Stunde Der Vampire
entlanggerannt waren, als ihre Tiere die Kontrolle übernommen hatten. Sie hätten auf Taubenjagd gehen können.
»Das hättest du nicht tun müssen«, sagte ich zu dem Jaguar. »Keiner von euch beiden hätte das tun müssen.«
Luis erhob sich und rieb sich mit dem ganzen Körper an mir, bevor er sich auf den Boden fallen lieÃ, sich die Pfoten leckte und sie dann dazu benutzte, sich das Gesicht zu waschen.
Ahmed zuckte mit den Schultern. »Er hat sich Sorgen gemacht. Ich habe ihm gesagt, dass du alleine auf dich aufpassen kannst. Dann hat es so ausgesehen, als könntest du es doch nicht. Zu dem Zeitpunkt war es bereits zu spät, etwas zu unternehmen.«
»Man hat mich schanghait.«
»Sieht ganz so aus.« Er setzte sich neben mich, wobei er sich langsam niederlieà und sich mit einer Hand abstützte, als sei er ein alter Mann mit knarzenden Knochen. Ich konnte keine Knochen knarzen hören.
»Ahmed, ich brauche Hilfe.«
»Was brauchst du? Ich habe einen sicheren Ort für dich, an dem du dich verstecken kannst.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um mich, sondern um Alette. Leo hat mich entführt, und ich glaube, dass sie in Schwierigkeiten steckt.«
Er runzelte die Stirn. Seine gesamte Miene verfinsterte sich, seine Augen verengten sich zu Schlitzen; wie bei einem knurrenden Hund. Doch ich konnte nicht nachgeben. Konnte nicht zurückschrecken.
»Du schuldest ihr nichts«, sagte er. »Sie hat dir ihre Gastfreundschaft angeboten und es dann nicht geschafft, dich zu beschützen.«
Eine reine Formsache. Er bezog sich auf die alten traditionellen Ideale von Gastfreundschaft, als die Leute Reisenden Unterschlupf gewähren mussten, damit diese nicht Räubern oder Wölfen auf den wilden, herrschaftslosen StraÃen zum Opfer fielen. Da ging mir auf: Ich war dabei, ausgerechnet die Wölfe um Hilfe zu bitten!
Der Jaguar war eingeschlafen, sein schlanker Brustkorb hob und senkte sich heftig und regelmäÃig. Ich saà auf dem Boden, und er hatte sich neben mir zusammengerollt, den Rücken an meine Beine gepresst.
»Sollte Alette etwas zustoÃen«, sagte ich, »wird Leo die Vampire der Stadt anführen. Möchtest du das?«
»Und wenn Leo auf ihren Befehl hin gehandelt hat?«
»Das glaube ich nicht.«
»Du bist zu vertrauensselig.«
»Alette ist ⦠nett zu mir gewesen.«
»Und ich nicht?«
»Das ist es nicht. Aber jemand muss ihr helfen.«
»Bitte hör auf meine Warnung; sie kommt von einem Freund, einem, der älter ist als du: Lass dich nicht mit denen ein. Das ist nicht deine Angelegenheit.«
Er klang so düster, so ernst, sprach in einem Tonfall, den vielleicht ein Lieblingslehrer an der Highschool anschlug, wenn er einem die Hand auf die Schulter legte und einen ermahnte, sich nicht mit »diesen Typen« abzugeben. Fast ein bisschen herablassend. Vollkommen überzeugt, dass ich nicht alleine auf mich aufpassen konnte.
Wobei ich natürlich in der Vergangenheit nicht unbedingt ständig bewiesen hatte, dass ich alleine zurechtkam. Doch ich konnte nicht einfach meine Instinkte ignorieren.
Wenn ich Luis nicht beobachtet und ihm nur geistesabwesend das Fell über den Rippen gestreichelt hätte, wäre mir entgangen, dass er anfing, sich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Es passierte langsam, ganz allmählich, so wie Eis schmilzt. Seine Glieder wurden länger, sein Rumpf dicker, das Fell dünnte aus. Nach und nach, Stück für Stück, Zelle für Zelle.
»Was machst du hier, Ahmed? Dieser Laden, dieses kleine Reich, das du dir aufgebaut hast â du behauptest, es sei kein Rudel, du seist kein Alpha. Doch jeder behandelt dich wie einen. Du erwartest es. Vielleicht herrschst du mithilfe von Höflichkeit und Respekt anstatt roher Gewalt. Du wirbst für diese Vorstellung eines sicheren Hafens, damit du nicht kämpfen musst, um deinen Rang beizubehalten. Und es funktioniert, das muss ich dir lassen. Es ist das beste System, das ich je gesehen habe. Aber du ignorierst
alles, was auÃerhalb deines Reiches geschieht. Und ich kann das nicht.«
Hätte ich diese Rede vor irgendeinem anderen Alpha gehalten, dem ich je begegnet war, hätte ich einen Kampf heraufbeschworen. Ich hatte seinen Rang infrage gestellt, was einer Herausforderung gleichkam â selbst wenn die Herausforderung genauso subtil war wie sein
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