Die Stunde Der Vampire
die sich als Opfer wähnten. Auf keinen Fall!
Sie trug einen Blumenanhänger an einer langen Kette über ihrem Kaschmirpullover und einer maÃgeschneiderten Jacke.
»Es gibt da eine Blutuntersuchung, die Dr. Flemming wahrscheinlich durchführen könnte. Aber in der Zwischenzeit ⦠Frau Senatorin, ist Ihre Kette aus Silber?«
Sie runzelte spöttisch die Stirn. »Ja.«
»Darf ich sie mir ansehen?« Ich warf dem Trottel von der Security einen Seitenblick zu. »Darf ich näher treten?«
Niemand sagte etwas, und Dreschler zog sich die Kette über den Kopf. Also trat ich an die Stufen vor sie. Sie reichte mir das Schmuckstück.
Ich nahm es in die linke Hand und wickelte mir die Kette um die Finger, um möglichst viel Hautkontakt herzustellen. Sofort fing meine Haut zu jucken an, und binnen Sekunden war aus dem Juckreiz ein Brennen geworden, als sei das Metall heiÃ, direkt aus dem Ofen, so heiÃ. Viel länger hielte ich es nicht aus; mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, und ich stieà die Luft zischend zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.
»Hier«, sagte ich und reichte ihr die Kette zurück. Allerdings schüttelte ich sie schnell von mir, um einiges weniger elegant als ursprünglich geplant, weil ich sie so rasch wie möglich loswerden wollte. Ich streckte meine Hand aus, die immer noch pulsierte.
Roter Ausschlag zog sich an all den Stellen, an denen ich in Berührung mit dem Metall gekommen war, in Striemen um meine Finger und bildete einen Fleck auf meiner Handfläche. Ich hielt die Hand von mir, damit sämtliche Ausschussmitglieder sie sehen konnten.
»Eine Silberallergie«, sagte Dreschler. »Das kann jedem passieren. Meine Schwester kann keine Ohrringe tragen, die keine medizinischen Stahlstecker haben.«
»Bevor ich mich infiziert habe, ist das nicht passiert, das können Sie mir glauben. Ich habe deswegen einigen richtig schönen Schmuck hergeben müssen.«
Sie lieà ein dünnes Lächeln sehen, beinahe widerwillig. Ich kehrte zu meinem Stuhl zurück; sie legte sich die Kette nicht wieder um.
Neben ihr ergriff Senator Deke Henderson das Wort. »Und sonst? Welche anderen Veränderungen bringt dieses ⦠Leiden mit sich?«
»Dr. Flemming hat vieles bereits in seiner Zeugenaussage erwähnt. Es hat Auswirkungen auf die Sinnesorgane. Der Geruchssinn wird empfindlicher, das Nachtsehvermögen besser. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen muss ich sagen, dass es auch die Stimmung beeinflusst, Dinge wie Gereiztheit und Depressionen. Ich habe schon des Ãfteren Witze darüber gehört, dass Frauen bessere Werwölfe abgeben, weil sie daran gewöhnt sind, einmal im Monat zu Ungeheuern zu werden.« Das brachte mir ein paar nervöse Lacher ein. »Auch wenn ich nicht sagen kann, wie viel an Deprimiertheit von dem Leiden hervorgerufen wird oder aber von dem frustrierenden Umgang damit herrührt.«
Henderson, der Rancher, der wahrscheinlich in der Debatte über die Wiedereinführung wild lebender Wölfe auf Farmland seine Meinung kundgetan hatte, sagte: »Sie haben sich gerade eben selbst als Ungeheuer bezeichnet, Ms. Norville. Diese Leiden, wie Sie sie nennen ⦠Stellen die eine Bedrohung für die Gesellschaft dar?«
Ich hatte lange und angestrengt darüber nachgedacht, wie ich diese Frage beantworten würde. Ein Dutzend Varianten meiner Antwort hatte ich niedergeschrieben, hatte sie eingeübt, hatte darüber geschlafen. Oder nicht darüber geschlafen. Menschen auf beiden Seiten würden vielleicht über das, was ich sagen wollte, nicht glücklich sein.
»Nein, Sir. Das glaube ich nicht. Ich könnte etliche Themen aufzählen, die Ihre Aufmerksamkeit mehr verdient hätten, wenn Sie sich Sorgen um Gefahren für die Gesellschaft machen â Verkehrssicherheit und Krebsforschung zum Beispiel. Wenn sie â Werwölfe, Vampire, all das â tatsächlich eine Gefahr darstellten, hätte man sich schon viel früher um sie kümmern müssen. Jahrhundertelang haben diese Gruppen unter einem Schleier der Geheimhaltung gelebt. Sie haben sich der Ãffentlichkeit nicht gezeigt, und sie haben sich groÃe Mühe gegeben, sich selbst zu überwachen, um sicherzugehen, dass sie nicht zu einer Gefahr für die Gesellschaft an sich werden und auf diese Weise ihre eigene Geheimhaltung bedrohen. Wie bei jedem anderen Bürger liegt es
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