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Die Stunde der Wahrheit

Die Stunde der Wahrheit

Titel: Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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schlanken Gestalt seiner Frau auf. Er beugte sich ein wenig hinab und griff nach ihren Handgelenken. »Ich könnte das ändern, stolzes Weib. Mit einem einzigen Streich könnte ich dafür sorgen, daß sich die Ehre deiner Ahnen in alle vier Winde zerstreut.«
    Buntokapi zwang sie, in seine zornigen Augen zu blicken, die Macht des Mannes zu spüren, der ihr niemals etwas bedeutet hatte, und Mara mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, um aufrecht zu bleiben. Eine lange, bedrohliche Minute verstrich. Dann veranlaßte das Spiel der hin und her flitzenden Insekten Ayaki zu spontanem Gelächter. Buntokapi schaute nach unten und sah die Druckstellen auf ihrer Haut, die von seinem festen Griff herrührten. Etwas verlegen blinzelte er und gab sie frei, und während sie ihn betrachtete, schien es ihr, als würde jede Lebenskraft aus ihm herausfließen. Dann richtete er sich kerzengerade auf, und ein Ausdruck trat in sein Gesicht, den sie niemals zuvor gesehen hatte.
    »Vielleicht hatte ich Unrecht an dem Tag, als wir heirateten«, meinte Buntokapi. »Vielleicht bin ich tatsächlich so dumm, wie du und mein Vater und meine Brüder glaubten. Doch um das Wohl meines Sohnes willen werde ich mutig als Soldat der Acoma sterben.«
    Mara neigte ihren Kopf nach vorn, um plötzlich aufsteigende Tränen zu unterdrücken. Einen kurzen Augenblick hatte sie den Mann kennengelernt, zu dem ihr Ehemann hätte werden können – wäre er mit der gleichen Liebe und Fürsorge aufgewachsen, die seinen beiden Brüdern zuteil geworden war. Der Lord der Anasati mochte wenig getan haben, um die Fähigkeiten seines dritten Sohnes zu bestärken; sie jedoch hatte mit Buntos Unzulänglichkeiten gespielt, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Mara fühlte Schmerz in sich aufsteigen; als sie Triumph empfinden sollte, lernte sie nur Trauer kennen. Denn in diesem einen Augenblick hatte sie Buntokapis Fähigkeit zu wahrer Größe erkannt, einen kurzen Moment nur, als ob ein Hauch von Sonnenlicht durch die Wolken stößt. Eine Fähigkeit aber auch, die schon sehr bald im Tod verschwendet werden würde.
    Doch die Wehmut währte nur wenige Sekunden. Buntokapi packte ihren Arm mit dem harten Griff eines Kriegers und zog sie unwirsch zur Seite. »Komm, meine Gemahlin. Nimm unseren Sohn aus dem Körbchen. Bevor die Sonne an diesem Tag untergeht, werdet ihr beide erleben, was es heißt, wie ein Lord der Acoma zu sterben.«
    Ohne lange nachzudenken, wehrte Mara sich dagegen. »Nicht das Kind! Mylord, er ist noch zu jung, um verstehen zu können!«
    »Schweig!« Buntokapi stieß sie unwirsch weiter, und Ayaki, durch seinen lauten Ruf erschreckt, begann zu weinen. »Ich sterbe für die Ehre meines Sohnes. Es ist nur recht, daß er sich daran erinnern soll. Genau wie du«, sagte der Lord der Acoma über das Gejammer des Kindes hinweg. Er hielt inne, und seine Lippen verzogen sich angewidert. »Du sollst Zeugin der Auswrkungen jenes Netzes sein, das du gesponnen hast. Wenn du am Spiel des Rates teilnehmen willst, mußt du wissen, daß die Dinge, mit denen du spielst, aus Fleisch und Blut bestehen. Es ist nur recht, daß du dich in Zukunft daran erinnerst, falls du weiterspielst.«
    Mara nahm Ayaki hoch und verbarg die tiefe Sorge um ihr Kind. Als Buntokapis Schritte sich vom Hain entfernten, hielt sie einen Moment inne und bekämpfte den Drang zu weinen. Als sie nach der Ermordung ihres Vaters und ihres Bruders getrauert hatte, war sie überzeugt gewesen, ihre Position zu kennen, über Risiko und Einsatz Bescheid zu wissen. Buntokapi hatte ihr nun jedoch das ganze Ausmaß ihrer Unkenntnis vor Augen geführt. Sie fühlte sich gedemütigt und unaussprechlich schmutzig und drückte Ayaki fester an sich. Dem Befehl ihres Ehemannes mußte sie gehorchen. Irgendwie mußte sie die Kraft finden, um die letzten, bitteren Früchte ihres Sieges zu pflücken. Wenn nicht, würden die Minwanabi ihren Untergang mit lange zuvor entwickelten Plänen herbeiführen, die in Rücksichtslosigkeit in nichts denen nachstanden, mit denen sie den Fall Buntokapis in die Wege geleitet hatte, um für die Acoma Sicherheit vor dem Verrat der Anasati zu erlangen.

    Die Soldaten der Acoma hatten sich zu einem peinlich genauen Viereck aufgestellt, und die leichte Brise, die vor Sonnenuntergang hin und wieder wehte, bewegte sanft die Federbüsche auf den Zeremonienhelmen der Offiziere. Innerhalb des Vierecks warteten Keyoke, Papewaio und ein anderer Krieger, der von den Anasati als Zeuge gesandt worden war.

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