Die Stunde der Wahrheit
Sein Blick war auf sein halbverspeistes Mahl gerichtet, doch er starrte ins Leere. Es war Chumaka, der jetzt energisch die Initiative ergriff und eine Aufforderung an die Krieger in der Baracke sandte, damit sie sich bereit machten. Sklaven brachten die Sänfte des Lords der Anasati, und Laternen im Hof tauchten die Fensterläden in einen hellen Schimmer. Endlich bewegte Tecuma sich. Sein Kiefer war hart vor Anspannung, und seine Augen blickten trostlos, als er die Lady der Acoma ansah. »Ich gehe nach Sulan-Qu, Frau meines Sohnes. Und um meines Enkels willen, den ich noch nicht gesehen habe, hoffe ich, die Götter mögen Buntokapi ebensoviel Mut wie Dummheit geschenkt haben.«
Er brach mit einem Stolz auf, dessen Anblick schmerzte. Als er in den Schatten der Halle verschwand, legte sich Maras Hochstimmung und machte dem fröstelnden Gefühl von Furcht Platz. Sie hatte eine geschickte Falle gebaut, und jetzt würden die Türen zuschnappen – in welcher Weise auch immer die Götter bestimmten. Sie dachte an Bunto, der jetzt halbbetrunken und lachend mit Teani auf dem Weg zu seinem abendlichen Vergnügen in der Spielhalle war. Mara zitterte; sie winkte Bedienstete herbei und befahl, Licht zu machen.
Nacoyas Gesicht sah im hellen Licht der Lampen alt aus. »Ihr spielt das Spiel des Rates mit hohem Einsatz, Mylady.« Sie unterließ jedoch dieses Mal ihren Tadel, Mara wäre sinnlose Gefahren eingegangen, denn Buntokapi war nicht gerade beliebt gewesen im Haushalt der Acoma. Die Amme war Tsurani genug, um Gefallen an dem Ungemach eines Feindes finden zu können, auch wenn die Folge eigenes, furchtbares Elend sein könnte.
Mara spürte keinen Triumph. Sie bebte; die langen Monate der Manipulation hatten an ihr gezehrt, und sie stützte sich auf Papewaios unerschütterliche Anwesenheit, um den Aufruhr in ihrem Innern zu beruhigen. »Die Bediensteten sollen diese Unordnung beseitigen«, sagte sie, als wären die Festtagsschüsseln und -platten für ein ganz gewöhnliches Mahl hergerichtet worden. Dann, als würde ein tiefer Instinkt sie treiben, lief sie zu Ayakis Zimmer, um nachzusehen, ob der Junge noch sicher auf seiner Matratze schlief. Sie saß in der Düsternis bei ihrem Kind, betrachtete seine im Schatten liegenden Gesichtszüge und fühlte sich an Ayakis Vater erinnert. Obwohl sie aus vielen Gründen Buntokapi zu hassen gelernt hatte, konnte sie nicht verhindern, daß eine tiefe, schwerblütige Melancholie sie erfaßte.
Mara wartete in Buntokapis Gemächern; sie verbrachte eine schlaflose Nacht in dem Zimmer, das einst Lord Sezu, ihrem Vater, gehört hatte, inzwischen aber den Geschmack und die Vorlieben jenes Mannes widerspiegelte, der durch ihre Heirat sein Nachfolger geworden war. Jetzt hing das Fortbestehen der Acoma vom Ehrgefühl dieses Mannes ab; denn wenn Buntokapi dem Eid, den er auf den Natami der Acoma geschworen hatte, treu blieb, würde er den Tod durch das Schwert suchen und seinem Haus die Vergeltung ersparen. Doch wenn seine Treue weiterhin bei den Anasati lag oder Feigheit ihn vom Pfad der Ehre abbringen und zu niederträchtiger Rache treiben würde, war es gut möglich, daß er den Krieg wählte und Mara und ihren gemeinsamen Sohn mit in den Untergang riß. Dann würde der Natami in die Hände Almechos fallen, und der Name der Acoma wäre für immer in Schande ausgelöscht.
Mara rollte sich ruhelos auf die andere Seite und stieß mit den Füßen die Laken auseinander, die sich verwickelt hatten.
Licht schimmerte grau durch die Läden, und obwohl die Needra-Hirten, die die Herden auf die Weide treiben würden, weder zu sehen noch zu hören waren, konnte es nicht mehr lange dauern bis zum Tagesanbruch. Ohne auf die Hilfe ihrer Zofe zu warten, erhob Mara sich und schlüpfte in ein Tagesgewand. Sie hob Ayaki aus dem Körbchen und eilte, nachdem sie versucht hatte, den schreienden Jungen zum Schweigen zu bringen, allein mit ihm auf den Gang.
Ein großer Schatten bewegte sich, kaum eine Handbreit vor ihr. Mara machte einen kleinen Satz zurück, während sie den Jungen eng an sich drückte. Dann erkannte sie das abgetragene Leder am Griff von Papewaios Schwert. Er mußte die Nacht vor der Tür zu ihren Gemächern verbracht haben.
»Warum seid Ihr nicht bei Reyoke in der Baracke?« fragte Mara. Die Erleichterung ließ ihre Stimme etwas schärfer klingen.
Papewaio verbeugte sich, ohne gekränkt zu sein. »Keyoke schlug vor, daß ich vor Eurer Tür Wache halten sollte, Lady. Diener hatten zufällig
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