Die Stunde der Wahrheit
schreien. Mara lockerte ein wenig ihre Hand; der Griff war für seinen jungen Körper zu fest gewesen, und der Schmerz in ihrer Brust zeigte ihr, daß sie aufgehört hatte zu atmen. Sie holte tief und schmerzhaft Luft. Jetzt endlich konnte sie gnädig die Augen schließen. Doch das Bild ihres toten Mannes, dessen Körper ausgestreckt auf dem Boden lag, schien sich auf der Innenseite ihrer Augenlider eingebrannt zu haben. Sie hörte nicht, wie Keyoke den Lord der Acoma für tot erklärte, tot mit allen Ehren. Statt dessen schienen die Sätze, die Buntokapi im Hain zu ihr gesprochen hatte, sie zu verfolgen. »Wenn du am Spiel des Rates teilnehmen willst, mußt du wissen, daß die Dinge, mit denen du spielst, aus Fleisch und Blut bestehen. Es ist nur recht, daß du dich in Zukunft daran erinnerst, falls du weiterspielst.« Versunken in eine rasch anwachsende Flut von Gedanken bemerkte Mara nicht, wie die Männer ihre Helme wieder aufsetzten und sich vor dem Verschiedenen verbeugten. Zeit und Ereignisse schienen in dem Augenblick von Buntokapis Tod festgefroren zu sein, bis Nacoya sie am Ellbogen berührte und zum Haus zurückführte. Die alte Amme sprach nicht, und das war eine Gnade, wenn auch Ayaki ziemlich lange schrie.
Nachdem Mara die Trauerkleider angelegt hatte, zog sie sich zurück, allerdings nicht in ihr Schlafgemach, wie es Nacoya gewünscht hätte, sondern in den nach Westen zeigenden Raum, der früher das Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen war. Dort beobachtete sie die Shatra-Vögel bei ihrem Flug an einem vom Sonnenuntergang wunderbar gefärbten Himmel. Doch die scharlachroten Farben erinnerten sie lediglich an Buntokapis Gewänder und an das blutige Schwert, mit dem er sich das Leben genommen hatte. Als die Dämmerung hereinbrach, entzündeten die Diener die Glaslampen und schlossen die Läden vor dem feuchten Tau. Mara sah sich in der Kammer um, die ihr als Kind wie das Herzstück des finanziellen Reiches ihres Vaters vorgekommen war; das Heiligtum war nicht länger dasselbe. Auf dem Tisch stapelten sich Dokumente, die Buntokapis Spiel-und Wettabenteuer betrafen: überwiegend Schulden, wie Mara aus der kläglichen Haltung erkennen konnte, die Jican in den vergangenen Wochen an den Tag gelegt hatte. Neue Gemälde, die der verstorbene Lord den Jagdszenen aus der Zeit von Maras Urgroßvater vorgezogen hatte, zierten jetzt die Läden. Ringer und Schlachtszenen waren nun darauf zu sehen, und der eine Laden zeigte eine Frau mit rötlichen Haaren.
Mara biß sich voller Widerwillen auf die Lippe. Zuerst hatte sie daran gedacht, das alte Bild wiederherzustellen, das sie aus der Zeit ihres Vaters und ihres Bruders kannte. Jetzt jedoch, wo der Staub der Baracken noch auf ihren Füßen lag und Buntokapis Selbstmord ihr deutlich im Gedächtnis war, änderte sie ihre Meinung. Die Kindheit lag hinter ihr. Wenn der Name der Acoma überleben sollte, mußte sie auch in sich Veränderungen zulassen, denn das Spiel des Rates erhob die Starken, ließ die Schwachen jedoch umkommen oder in unehrenhaftes Dunkel fallen.
Ein zaghaftes Klopfen erklang am Türladen. Mara fuhr zusammen, dann wandte sie sich um. »Herein.«
Jican trat hastig durch die Tür. Zum ersten Mal seit Wochen trug er keine Dokumente oder Needra-Rechnungen bei sich; seine Hände waren leer, und aufgewühlt verneigte er sich, bis seine Stirn den Boden vor den Füßen der Lady der Acoma berührte. Mara erschrak. »Hadonra, bitte erhebt Euch. In keiner Weise bin ich unzufrieden mit der Art, wie Ihr unter der Herrschaft meines verstorbenen Mannes Euren Pflichten nachgekommen seid.«
Doch Jican zitterte nur und verneigte sich noch tiefer; ein Häuflein erbärmlichen Elends kniete auf den wunderbaren Bodenfliesen. »Mistress, ich bitte um Vergebung.«
»Für was?« Verwirrt versuchte Mara ihrem Diener die Befangenheit zu nehmen. Sie trat zurück und setzte sich auf die Kissen, auf denen sie in der Vergangenheit oft gesessen und mit dem Hadonra lange Diskussionen über die Finanzen der Acoma geführt hatte. »Jican, bitte steht auf und sprecht.«
Der Hadonra hob seinen Kopf, doch er blieb auf den Knien. Er bemühte sich um die einem Tsuram angemessene Beherrschung, brachte jedoch lediglich ein zerknirschtes Aussehen zustande. »Mistress, ich bringe Schande über die Acoma. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann keine –« Hier brach er ab und schluckte schwer. »Lady, gewährt mir Gnade, denn ich kann keine Trauer empfinden, wie ich es sollte bei dem Tod
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