Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der Wahrheit

Die Stunde der Wahrheit

Titel: Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
Vom Netzwerk:
Zwischen ihnen stand Buntokapi in der bei diesem Ritus üblichen roten Robe und mit einer Schärpe im Grün der Acoma; in den Händen hielt er das Schwert, das ebenfalls rot war und so scharf, wie es den tsuranischen Schwertmachern überhaupt nur möglich war.
    Mara wartete außerhalb des Vierecks, doch ein kleiner Erdhügel gewährte ihr direkte Sicht. Ayaki wurde ihr allmählich zu schwer, und sie nahm das Kind auf die andere Schulter. Sie wünschte, das Ritual wäre endlich vorüber. Ayaki war jetzt richtig wach und munter, er wühlte mit seinen kleinen Händen in Maras Haaren und Gewand und schrie hell auf, als er die Krieger in den farbenprächtig lackierten Rüstungen sah. Wie alles bei den Tsurani hatte auch der Tod seine eigene Zeremonie. Buntokapi stand starr wie eine Statue in der Mitte des Vierecks, in den Händen das Schwert, das für sein Ende bestimmt war, während Keyoke die Liste der Ehren vorlas, die er sich als Lord der Acoma verdient hatte. Die Auflistung war sehr kurz; eine einzige Schlacht und ein Dutzend Ringkämpfe. Mara schluckte schwer; sie war sich der Jugend ihres Mannes niemals so bewußt gewesen wie jetzt. Die Gesichter der Tsurani alterten sehr langsam, daher konnte man leicht vergessen, daß Buntokapi kaum zwanzig war, gerade einmal zwei Jahre älter als sie selbst.
    Buntokapi stand aufrecht und ruhig da, durch und durch Soldat. Doch etwas in seinen Augen spiegelte die verzweifelte Entschlossenheit wider, die er aufbringen mußte, um diesen Augenblick durchzustehen. Mara schluckte erneut und löste vorsichtig Ayakis Finger von ihrem Ohrläppchen. Er lachte laut auf, bereit zu weiteren solcher Spielereien.
    »Still«, schimpfte Mara.
    Inzwischen hatte Keyoke seine Rede beendet. Er verneigte sich tief. »Geht in Ehre, Lord der Acoma, und laßt alle Männer sich an Euren Namen ohne Scham erinnern.«
    Als er sich aufrichtete, nahmen die Krieger gleichzeitig die Helme ab. Die Brise wehte ihre feuchten Locken aus den schwitzenden Gesichtern, und mit ausdruckslosen Augen starrten sie auf das Schwert, das Buntokapi über seinen Kopf erhoben hatte.
    Mara schluckte wieder; ihre Augen brannten von den salzigen Tränen. Sie versuchte an Lano zu denken, wie er blutüberströmt unter den Hufen der barbarischen Pferde lag. Doch der Anblick Buntokapis, wie er im nachlassenden Sonnenlicht mit dem erhobenen Schwert dastand, um den Göttern des Lebens den letzten Tribut zu zollen, war zu wirklich, als daß sie ihn so einfach beiseite schieben konnte. Abgesehen von seiner Grobheit im Bett und seinen jähzornigen Wutausbrüchen hatte er seine Frau nicht unterdrückt – hätte Mara mit der gleichen Intensität versucht, ihn zu formen statt zu zerstören … Nein, rief sie sich zur Ordnung, es darf kein Bedauern geben. Sie erinnerte sich an die Lehren Lashimas und verdrängte solche Gedanken aus ihrem Bewußtsein. Ausdruckslos sah sie zu, wie Buntokapi das Schwert herumdrehte und die Spitze gegen seinen Bauch richtete.
    Es gab keine letzten Worte. Doch die Augen, die Maras Blick traf, waren voller dunkler Ironie und einer befremdlichen Bewunderung, in die sich der Triumph über das Wissen mischte, daß sie den Rest ihres Lebens mit diesen Augenblicken würde leben müssen.
    »Bevor die Sonne an diesem Tag untergeht, werdet ihr beide erleben, was es heißt, wie ein Lord der Acoma zu sterben«, hatte er im Hain zu ihr gesagt. Mara klammerte ihre Hände unbewußt in die Falten von Ayakis Kleidung, als Buntokapi den Kopf senkte. Die großen Hände, plump auf dem Körper einer Frau, doch fähig beim Ringkampf und in der Schlacht, schlossen sich um das rotgeschnürte Leder des Schwertes. Die tiefstehende Sonne verlieh dem Schweiß auf seinen Handgelenken einen goldenen Schimmer. Dann packte er noch fester zu, machte einen schnellen, kurzen Schritt und warf sich nach vorn. Der Knauf der Waffe kam sauber auf der Erde auf, und die Klinge glitt durch seinen Körper. Hände und Griff berührten das Brustbein, und er grunzte, während sein Körper sich vor Schmerz versteifte.
    Er gab keinen Schrei von sich. Nur ein Seufzer entfuhr ihm, während der rote Lebenssaft schnell zwischen seinen Fingern hindurch und aus seinem Mund rann. Als die Muskelkrämpfe langsamer wurden und beinahe aufhörten, wandte er seinen Kopf. Die mit Staub und Blut bedeckten Lippen formten ein Wort, das niemand hören konnte, und seine leblosen Augen hefteten sich auf die Frau und das Kind, die oben auf dem Hügel standen.
    Ayaki begann zu

Weitere Kostenlose Bücher