Die Stunde der Wahrheit
festzuhalten, die Stabilität versprachen, und kleidete Ayaki in sein winziges Festgewand. Dann zog auch sie ihr weißes Gewand an, beruhigte ihren jammernden Sohn und trug ihn durch den windigen Nachmittag zum Eingang des Hains.
Es war der Lärm, der sie warnend auf die Ankunft von Besuchern hinwies. Waffen klirrten im Hof, und die aufgeregte Stimme eines Dieners wehte über das Seufzen des Windes und das Rascheln der Blätter zu ihr herüber. Mara legte ihre Arme eng um Ayakis warmen Körper, was mit eindeutigem Protest beantwortet wurde. Angespannt und besorgt ging sie durch die Hecken, die sie noch vor allen Blicken verbargen. Beinahe stieß sie mit Keyoke zusammen, der bis an die Zähne bewaffnet war. Der alte Kommandeur hatte sich genau gegenüber des Eingangs aufgebaut, und nach der Befestigung der Schnallen zu urteilen, hatte er die Zeremonienrüstung in großer Eile angezogen. Die Besucher waren also von hohem Rang.
»Anasati?« fragte sie leise.
Keyoke entgegnete mit einem kurzen Nicken: »Papewaio und Nacoya warten auf Euch, Lady. Und Lujan sorgt in den Baracken für die Bereitschaft von zwei Kompanien.«
Mara zog die Augenbrauen zusammen. Keyoke hätte diese Vorsichtsmaßnahmen sicherlich nicht erwähnt, wenn Tecuma in friedlicher Absicht gekommen wäre. Ihre Furcht wurde bestätigt, als der Kommandeur langsam eine Hand zum Kinn führte und mit dem Daumen daran rieb.
Mara nahm einen tiefen Atemzug und duckte sich zur Seite, als Ayaki spielerisch seine Faust hin und her schwang. »Lashima wird Euch für Eure Weitsicht belohnen, Keyoke«, murmelte sie. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie hinter der Hecke hervortrat und sich den Blicken der anderen offenbarte.
Der Hof war bis zum Bersten gefüllt mit einer Ansammlung von Höflingen, Bediensteten und Kriegern, die alle staubig von der Reise waren und einfache, nützliche Rüstungen trugen, nicht die stilvollen, schön verzierten, die bei offiziellen Besuchen üblich waren. Der Lord der Anasati wirkte wie ein gewaltiger Farbklecks, wie er so mitten zwischen den Farben seines Hauses und den Federbüschen der Trauer auf seiner Sänfte saß. Geduldig wartete er, seinen Berater Chumaka neben sich. Stille senkte sich über den Hof, als Mara sich näherte. Nacoya und Papewaio folgten einen Schritt hinter ihr. Die Soldaten der Anasati nahmen Haltung an, als die Lady der Acoma sich verbeugte – sie bewegte sich so wenig wie möglich, gerade genug, daß jemand von Tecumas Rang keinen Anstoß daran nehmen konnte.
»Willkommen, Vater meines Gemahls.«
»Meinen Gruß, Tochter,« sagte er voller Bitterkeit. »Ich sehe den Sohn meines Sohnes in Euren Armen. Darf ich ihn anschauen?«
Mara verspürte einen kleinen Stich. Die Präsentation des Enkelsohns hätte der Anlaß zu einem Fest der Freude sein sollen. Statt dessen reichte sie Ayaki in einem höchst angespannten Augenblick unausgesprochener Feindseligeit den ausgestreckten Armen seines Großvaters. Die stark duftenden Stoffe und die scharfen Kanten der Edelsteine brachten das Kind dazu, sich unbehaglich zu winden, doch der Junge weinte nicht. Tecuma betrachtete das sture, kleine Gesicht. »Er sieht aus wie Bunto.«
Mara nickte zustimmend.
Nachdem er das Kind lange Zeit in seinen Armen gehalten hatte, gab Tecuma es in kaltem Schweigen wieder zurück. Mara reichte ihn weiter in die Obhut Nacoyas, die ihn beruhigte, wie sie viele Jahre zuvor bereits die Mutter des Jungen nach einem Trauerritual beruhigt hatte.
»Bring meinen Sohn in sein Zimmer«, sagte die Lady der Acoma. Als die alte Amme fortging, betrachtete Mara das feindselige Gesicht ihres Schwiegervaters. »Ich biete Euch die Gastfreundschaft meines Hauses.«
»Nein, Tochter.« Tecuma sprach das Wort höhnisch aus; jede Spur von Zärtlichkeit war mit Ayaki gegangen. »Ich werde meinen Fuß nicht in das Haus der Mörderin meines Sohnes setzen.«
Mara zuckte beinahe zurück. Mit großer Mühe brachte sie eine gelassene Antwort zustande: »Euer Sohn nahm sich selbst das Leben, Mylord, um seine Ehre wiederherzustellen.«
Tecuma neigte den Kopf. »Ich weiß, Mara. Aber ich kannte meinen Sohn. Er mag ungeschickt als Herrscher gewesen sein, doch nicht einmal er hätte es fertiggebracht, den Kriegsherrn und seinen eigenen Vater so zu beleidigen. Nur durch Euch konnte so etwas zustande kommen.« Etwas wie Achtung schlich sich für einen kurzen Augenblick in seine Haltung. »Ich anerkenne Eure Brillanz im Spiel des Rates, Mara von den Acoma« – seine
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