Die Stunde der Wahrheit
zu verschwenden. Indem sie ihn liebte und für ihn sorgte und ihn diese Gaben entwickeln ließ, konnte sie den Acoma einen Sohn erziehen, der selbst die Anasati stolz machen würde; und genau das zu tun schwor sie sich.
Drei
Erneuerung
Mara lauschte dem Geräusch des Wassers.
Der winzige Bach, der aus dem Teich im heiligen Hain floß, ließ ein sanftes Plätschern hören, wenn sich an den Steinen in seinem Bett kleine Wellen brachen. Der Wind wehte durch die Äste der Baume, ein unangenehmes Geräusch, das Ayakis nörgeliger Laune entsprach. Er sah seine Mutter ernst an, als sie die Urne mit den Überresten seines Vaters hochhob. Die Trauerzeremonie war für seine kleine Seele und seinen kleinen Geist zuviel; er wußte nur, daß der Wind kalt war und seine Mutter ihn nicht zum Spielen wegkrabbeln lassen würde.
Mara empfand weder Trauer noch Bedauern, als sie Buntokapis Asche in die Vertiefung neben dem Natami der Acoma schüttete. Ihr Mann war tot, und der Lord der Anasati betrauerte einen Sohn – wenn auch nur einen wenig geliebten dritten Sohn. Tecumas Bitterkeit war wahrscheinlich dennoch doppelt so groß, denn das Ende Buntokapis war von einer Person herbeigeführt worden, die sich außerhalb seiner Reichweite befand; als Mutter des einzigen Enkels der Anasati war Mara vor Vergeltung geschützt. Dennoch fühlte das Mädchen sich nicht als Siegerin. Der Wind war scharf und zerrte an ihrem Gewand. Mara zitterte. Niemals durfte sie zulassen, daß Bedauern in ihr aufstieg. Was sie getan hatte, war Vergangenheit; etwas anderes zu denken bedeutete, durch etwas Schlimmeres Schwierigkeiten zu bekommen als durch den Schatten ihres wütenden Mannes. Wenn sie dem Zweifel oder auch nur der Unsicherheit erlaubte, sich zu entfalten, würde das womöglich in der Zukunft ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, lähmen. Das jedoch würde ganz sicher zur endgültigen Vernichtung der Acoma durch die Hand ihrer Feinde führen, denn das Spiel des Rates ging weiter. Sie mußte jeden Anflug von Bedauern rigoros zurückdrängen, trotz ihrer augenblicklichen Trauer, und die Unentschlossenheit für immer in Schach halten.
Zum zweiten Mal in weniger als zwei Jahren führte Mara das Trauerritual durch. Doch jetzt war kein tief verborgener Schmerz in ihr, sondern nur Traurigkeit. Lord Sezu hatte sie gelehrt, daß der Tod ein Teil der Politik war, doch sie verstand jetzt, daß die kulturellen Regeln einfach nur eine Möglichkeit waren, Mord zu rechtfertigen. Diese Erkenntnis verunsicherte sie.
Mara suchte Trost in einem stillen Gebet, das sie an den Schatten ihres Mannes richtete. Buntokapi, dachte sie, welche Ruhe es deinem Geist auch immer bringen möge, zumindest bist du in Würde gestorben. Für einen Augenblick, wie kurz er auch gewesen sein mag, hast du dich dem Namen des Lords der Acoma würdig erwiesen. Dafür ehre ich dich. Möge deine Reise im Rad dir in deinem nächsten Leben einen besseren Lohn schenken.
Jetzt zerriß Mara ihre Kleidung, schnitt sich in den Arm und schmierte Asche zwischen ihre Brüste. Ayaki bewegte sich unruhig neben ihr, er hatte die Perlen weggestoßen, die Nacoya ihr geliehen hatte, um ihn beschäftigt zu halten. Mara legte auch die winzige Brust Ayakis frei und schmierte Asche darauf. Er schaute hinunter und verzog das Gesicht. Er war so stark wie sein Vater und schrie nicht, als Mara ihn zwickte; statt dessen schob er die Unterlippe vor und machte ein mißmutiges, streitlustiges Gesicht. Mara stach ihn mit dem Zeremoniendolch leicht in den Unterarm und erntete für den Versuch, das Ritual zu beenden, lautes Protestgeschrei. Sie hielt Ayakis Arm über den Teich und sah zu, wie sein Blut sich mit dem ihren im Wasser vermischte.
Die Tränen kamen mühelos. Allein und einmal nicht den prüfenden Blicken der sich um sie scharenden Vertrauten und Bediensteten ausgesetzt, gab Mara sich ihrer geheimen, innersten Furcht hin: daß sie der nächsten Runde im Spiel des Rates nicht gewachsen sein würde. Die Erniedrigung und der Schmerz, die sie durch Buntokapis Hände erlitten hatte, der Zweifel und die Qual, als sie seinen Niedergang geplant, jede Gefahr, der sie getrotzt hatte, um den Mörder ihres Vaters und Bruders zu überleben – dies alles konnte sich in nichts auflösen, fortgeweht vom Wind der Umstände und des politischen Glücks. Die Minwanabi schliefen niemals in ihrem Haß auf die Acoma. Manchmal fühlte Mara sich hilflos und ohne jede Hoffnung.
Sie versuchte sich an den Notwendigkeiten
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