Die Stunde der Wahrheit
Leidenschaften Brulis Geist beschäftigen oder nicht, wir haben gesiegt. Bruli hat genug von dem Reichtum seines Vaters ausgegeben, um die Kehotara in eine sehr verletzliche Position zu bringen. Jingu wird finanzielle Unterstützung leisten müssen, und alles, was diesem Jaguna Unbehagen verschafft, ist eine Wohltat.«
»Tochter meines Herzens, das Schicksal verläuft selten nach so einfachen Regeln.« Nacoya trat einen Schritt näher, und zum ersten Mal schaute Mara auf und sah die Pergamentrolle, die sie in ihren alten Händen hielt. Die Schleifen und das Siegel waren orange und schwarz, Farben, die sie niemals unter ihrem Dach erwartet hätte. »Dies ist soeben eingetroffen«, sagte ihre Erste Beraterin. Zögernd und mit steifem Rücken reichte sie ihrer Mistress das Pergament.
Mara riß die Schleifen und das Siegel mit Händen auf, die viel zu sehr zitterten, um sie noch unter Kontrolle zu halten. Die Schriftrolle löste sich mit einem leichten Rascheln in der Stille, die jetzt im Zimmer herrschte. Mara las, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos wie das einer Wachsfigur.
Nacoya hielt den Atem an; Keyoke suchte in der unbeweglichen Haltung des Kriegers Zuflucht; und schließlich hob Mara den Kopf.
Sie stand auf und schien plötzlich ganz zerbrechlich im Glanz der Sonne. »Wie Ihr vorausgesagt habt«, meinte sie zu den zwei ältesten Vertrauten ihres Haushaltes. »Der Lord der Minwanabi bittet um meine Anwesenheit bei der offiziellen Geburtstagsfeier unseres erhabenen Kriegsherrn.«
Die Farbe wich langsam aus Nacoyas faltiger Haut. »Ihr müßt absagen«, meinte sie sofort. Seit unzähligen Generationen hatte kein Acoma einen Fuß auf das Land der Minwanabi gesetzt, zumindest nicht, ohne von Soldaten begleitet worden zu sein, die für die Schlacht gerüstet waren. Mara darum zu bitten, Jingus Haus zu betreten und mit seinen Verbündeten gesellschaftlich zu verkehren, kam einer sicheren Einladung zum Sterben gleich. Nacoya schloß etwas zäh: »Eure Ahnen würden Euch die Schmach vergeben.«
»Nein!« Die Lady der Acoma biß sich auf die Lippe; hart genug, daß sie weiß wurde. »Wenn ich ablehne, riskiere ich, Almecho ernsthaft zu beleidigen, und nach dem Verrat der Partei des Blauen Rates wird seine wohlbekannte Wut sehr schnell einsetzen.« Ihre Stimme versiegte, doch es blieb unklar, ob wegen des Bedauerns, daß sie sich Jingu stellen mußte, bevor sie dazu bereit war, oder aus Angst um ihre eigene Sicherheit. Der unerhörte Druck ließ ihr Gesicht zu einer unlesbaren Maske erstarren. »Die Acoma dürfen sich keiner Drohung beugen. Ich werde mich in die Festung des Feindes begeben, der nichts so sehr wünscht wie meinen Tod.«
Nacoya unternahm einen schwachen Versuch, sie davon abzuhalten, dann wandte sie sich verzweifelt ab. Es zerriß Mara das Herz, als sie die gekrümmten Schultern ihrer Ersten Beraterin sah, und gegen jede Hoffnung versuchte sie, Trost zu spenden. »Mutter meines Herzens, faß Mut. Bedenke, daß der Lord der Minwanabi nicht triumphieren kann, wenn Turakamu nach meinem Geist greift, solange er nicht auch Ayaki ermordet. Glaubst du, er würde die gemeinsame Macht der Acoma und Anasati heraufbeschwören, um das Leben meines Sohnes auszulöschen?«
Darauf fand Nacoya keine Antwort; zumindest schüttelte sie unsicher den Kopf. Doch ihr Herz sagte ihr, daß Jingu sogar das wagen könnte, wenn er nur seinen alten Feind vernichtet sehen würde. Schlimmeres war in der Vergangenheit des Spiels des Rates geschehen und aus weit nichtigeren Gründen als einer Blutfehde.
Sechs
Einverständnis
Der Läufer verschwand.
Mara klammerte ihre verkrampften Hände um den Rand des Schreibtisches und wünschte verzweifelt, daß er zurückkäme. Zu leicht konnte die Nachricht, die er zur Botengilde brachte, ihren Tod und den endgültigen Untergang der Acoma bedeuten. Doch die Alternative hieß, ohne Ehre weiterzuleben, die Ahnen zu beschämen und den alten Kodex ihres Hauses zu beschmutzen. Mara streckte und dehnte einen Augenblick ihren angespannten Rücken, dann rief sie Nacoya herbei, um der alten Frau mitzuteilen, daß sie die offizielle Zusage auf die Einladung der Minwanabi abgeschickt hatte.
Nacoya trat mit grimmiger Bedächtigkeit ein – ein deutliches Zeichen, daß sie den Läufer beim Verlassen des Herrenhauses gesehen hatte. Das Alter hatte ihrer Scharfsinnigkeit nichts anhaben können; sie hatte bereits erraten, daß in dem versiegelten, hölzernen Zylinder, den er bei sich hatte, nicht
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