Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der Wahrheit

Die Stunde der Wahrheit

Titel: Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
Vom Netzwerk:
Gruppen blühender Bäume und Mosaike aus gebrannten Ziegeln plätscherte und in einen kleinen, spiegelnden Teich unterhalb des Podestes mündete. Irgendwo, irgendwann mußten die Minwanabi einen Architekten und Künstler von ungewöhnlichen Fähigkeiten verpflichtet haben. Der begnadete Künstler mußte jedoch im Dienst einer früheren Generation der Minwanabi gestanden haben, denn die grellste Kleidung von allen trugen der Lord und die Lady auf dem Podest. Mara zuckte zusammen, aber weniger, weil sie wie die meisten Tsuranis von dem grün-und orangefarbenen Kleid seiner Frau beeindruckt gewesen wäre. Mara weinte beinahe bei dem Gedanken, daß all die Schönheit, die sie umgab, an einen Feind wie Jingu verschwendet wurde.
    »Die Götter müssen dieses Haus mit besonderem Reichtum gesegnet haben«, brummte Nacoya. »Doch die Göttlichen haben wenig Sinn für das Praktische gelassen, behaupte ich. Denkt doch nur daran, wie viele Insekten dieses Dach hineinläßt, ganz zu schweigen von Staub und Schmutz und Regen.«
    Mara lächelte ihre alte Amme nachsichtig an. »Würdest du sogar versuchen, ein Schlangennest zu bemuttern? Abgesehen davon bin ich sicher, daß die Minwanabi das Dach bei schlechtem Wetter gut abdecken. Jingus Frau trägt zu viel Schminke und kann es sich nicht leisten, unerwartet naß zu werden.«
    Nacoya gab nach, mit der Bemerkung, daß ihre Augen nicht so gut wären, ja, daß sie seit ihrer Jugend niemals gut gewesen wären. Mara tätschelte beschwichtigend die Hand ihrer Vertrauten. Strahlend schön in ihrem mit Zuchtperlen besetzten Kleid, die lockigen Haare mit grünen Bändern durchflochten, begann sie, die Treppen zum großen Saal hinabzusteigen. Papewaio folgte in seiner Gala-Rüstung; und obwohl er seine Herrin und ihre Erste Beraterin zu einem gesellschaftlichen Treffen begleitete, bewegte er sich mit einer Wachsamkeit, die eher auf ein Schlachtfeld gepaßt hätte. In vielerlei Hinsicht waren die offiziellen Zusammenkünfte der Tsuranis noch gefährlicher. Unter den höflichen Umgangsformen und all der Pracht schlummerte ungeahnter Ehrgeiz, und wie sich die Allianzen im Spiel des Rates änderten, konnte auch hier jeder anwesende Lord zum Feind werden. Wenige würden zögern, den Acoma Schaden zuzufügen, sollte dies dem eigenen Haus nützen. Andere wiederum, die normalerweise nicht mit Maras Haus verfeindet waren, mochten auf dem Territorium der Minwanabi ihr Fähnchen plötzlich nach dem Wind hängen.
    Mara, die einen einfachen Geschmack hatte, ließ sich von dem zur Schau gestellten Reichtum nicht blenden. Ihre zurückhaltende Kleidung verstärkte den Eindruck noch, der sich ohnehin bei den Lords und Ladys im Saal gebildet hatte. Die meisten hielten sie für ein junges, unerfahrenes Mädchen, das durch die Heirat mit den mächtigeren Anasati Schutz für ihr Haus gesucht hatte. Jetzt, da Buntokapi tot war, war sie wieder Freiwild. Mara war es recht, und sie ließ das Mißverständnis bestehen, während sie an den anderen vorbeiging; dadurch erhöhten sich ihre Chancen, unbemerkt eine kleine Information, einen Kommentar oder eine Bemerkung aufzuschnappen, die sich als nützlich erweisen könnte. Als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte und durch die Menge auf das Podium zuging, um den Lord der Minwanabi zu begrüßen, betrachtete sie die Gesichter der anderen Gäste und merkte sich, wer wo mit wem plauderte. Ihre Tempelerfahrung kam ihr dabei sehr zugute. Sie antwortete höflich denen, die sie grüßten, ließ sich jedoch nicht durch ihr herzliches Lächeln oder ihre freundlichen Worte in Sicherheit wiegen.
    Jingu von den Minwanabi verfolgte ihr Näherkommen mit dem ausgehungerten Interesse eines Jaguna. Mara sah, wie er die Unterhaltung mit seinem Berater unterbrach, als sie die Stufen emporstieg, um ihn zu begrüßen. Der bevorstehende Augenblick machte auch sie nachdenklich, denn zum ersten Mal sah sie dem ältesten Feind ihrer Familie ins Gesicht. Der Lord der Minwanabi war ein sehr korpulenter Mann und hatte ganz sicher seit seiner Jugend keine Rüstung mehr getragen. Doch Gerissenheit und Bösartigkeit glitzerten immer noch in seinen Augen. Perlenbänder waren um seine Handgelenke gewunden, und Muschelketten hingen an seinem Hals, glänzend vom Schweiß seines Nackens. Seine Verbeugung fiel etwas kleiner aus, als es bei einer Herrscherin eigentlich angemessen gewesen wäre. »Mylady von den Acoma«, sagte er mit einer Stimme, die so belegt und salbungsvoll war wie seine gesamte

Weitere Kostenlose Bücher