Die Stunde der Wahrheit
könnten. Wenn wir irgendwie über das Land der Minwanabi hinausgelangen könnten, wären wir, ohne daß Jingu ein Risiko eingehen müßte, sehr verwundbar gegenüber offenen Angriffen von ›Banditen‹. Hier, mit seinem Sicherheitsversprechen, haben wir immer noch eine Chance, unser Leben zu retten.«
»Zählt nicht zu sehr darauf, Mistress«, sagte Nacoya säuerlich. »Jingu von den Minwanabi hätte niemals die Tochter Sezus hierhergeholt, wenn er sie wieder entfliehen lassen wollte. Dieser Ort ist für Euch wie ein Nest giftiger Dornen, angefüllt mit hundert tödlichen Fallen. Selbst mit der Gunst der Götter könnt Ihr ihnen nicht allen entgehen.«
Mara fuhr hoch; Wut loderte in ihr auf. »Du hältst mich noch immer für ein Mädchen, alte Mutter. Das ist ein Irrtum. Jingus Drohungen und selbst der Spott des Kriegsherrn bringen mich nicht dazu, meine Ahnen zu beschämen. Irgendwie, mit Schläue oder durch Politik, werden wir dieser Falle entkommen und triumphieren.«
Obwohl sie innerlich genauso verängstigt war wie Nacoya, gelang es Mara, die Worte mit einiger Überzeugung auszusprechen. Die ältere Frau hörte sie und war ein wenig beruhigt, während auf der gegenüberliegenden Seite des Saales Hokanu von den Shinzawai die stolze Haltung von Mara von den Acoma beobachtete. Sie hatte bewundernswert viel Mut für eine so junge Frau. Wenn der Lord der Minwanabi ihren Tod wünschte, würde er einen sehr hinterhältigen Plan benötigen, denn dieses Mädchen stand ihrem Vater in nichts nach.
Danach verstrich der Nachmittag nur zäh. Jingu von den Minwanabi hatte für Musiker und Akrobaten gesorgt und sogar eine Posse im Segumi-Stil bestellt, die nur aus einem Akt bestand. Doch nicht einmal in der Anwesenheit der Erhabenen konnte die Liebe der Tsurani für die Schönen Künste die Verlockungen der Politik vollkommen in den Schatten stellen. Einige Lords hatten gehofft, sich die Tatsache zunutzemachen zu können, daß Almecho seine Position durch die Kriege in der barbarischen Welt überreizt hatte. Jetzt, da zwei der Magier, die alle Übergänge zwischen Kelewan und Midkemia überwachten, wie die Schatten der Mitternacht unter ihnen weilten, wagten nicht einmal die kühnsten Lords, Unterstützung für ihre Machenschaften zu suchen. Mara hörte viele verärgerte Bemerkungen darüber, daß Almecho bei der Veranstaltung, die eigentlich eine Feier zu seinen Ehren hätte sein sollen, seine Verbindung mit den Erhabenen zur Schau stellte.
Als nach der letzten Verbeugung der Schauspieler der Vorhang fiel, trat Desio von den Minwanabi auf die Holzbühne, die für die Vorstellung errichtet worden war. Seine Schritte hallten hohl auf den Brettern, als er auf die Mitte der Bühne zuging und mit erhobenen Armen um Ruhe bat.
Köpfe wandten sich um, und das Flüstern der Unterhaltungen versiegte. Die Federn seiner Manschetten flatterten, als Desio die Arme wieder senkte und seine Verkündigung machte: »Späher der Minwanabi haben von einigen Problemen berichtet, die auf dem Fluß aufgetreten sind. Eine Gruppe von Piraten ist vom Norden her eingedrungen, und zwei Barken sind in der Nähe der Grenze dieses Landes ausgeraubt und verbrannt worden.« Gemurmel drang durch den Saal, versiegte jedoch wieder, als der Erbe der Minwanabi weitersprach: »Lord Jingu hat sich die Bitte des Kriegsherrn zu Herzen genommen, daß sein Geburtstag nicht durch Blutvergießen getrübt werden soll. Um dies gewährleisten zu können, hat er das Anheben der Kette am Gebetstor angeordnet, durch das der Flußarm vom See abgetrennt wird. Jede Barke, die versucht, vom Fluß aus einzudringen, wird unverzüglich verbrannt. Wer von den Gästen diese Feier frühzeitig verlassen will, sollte uns dies mitteilen, damit die diensthabenden Krieger sie hinauslassen können.« Desio beendete seine Rede mit einer ehrerbietigen Verbeugung und einem unverblümten Lächeln in Richtung der Lady der Acoma. Die Akrobaten nahmen jetzt seine Stelle auf der Bühne ein, und die Feier für den Kriegsherrn ging weiter.
Es gelang Mara, bei dieser neuesten Entwicklung der Machenschaften der Minwanabi keinen Groll zu zeigen. Er hatte es nicht nur geschafft, jeden Versuch, früher abzureisen, als Feigheit zu brandmarken, sondern auch noch einen guten Grund geliefert, sollte ein Gast auf dem Fluß hinter den Toren überfallen und getötet werden. Nicht einmal ein Bote konnte ohne Jingus Wissen zu den Gütern der Acoma gelangen. Mara blickte Papewaio an und erkannte an seinen
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