Die Stunde der Wahrheit
festen Willen besaß, konnte er nicht sicher sein, daß er seine Fassade der Wachsamkeit noch länger würde aufrechterhalten können. Bei der erstbesten Gelegenheit entschuldigte Mara sich und ihr Gefolge, und sie verließen das Fest.
Die dunklen Schatten unter ihren tiefen Kapuzen machten es unmöglich, den Gesichtsausdruck der Erhabenen zu erkennen, doch sie folgten Mara mit ihren Blicken, als sie sich erhob.
Almecho zu ihrer Rechten lächelte, er stieß mit dem Ellbogen dem Lord der Minwanabi leicht in die Rippen. Aus allen Teilen des Saales verfolgten zufriedene Blicke, wie die Lady der Acoma ihrer angejahrten Ersten Beraterin auf die Füße half.
»Ich wünsche Euch angenehme Träume«, murmelte Desio von den Minwanabi, als die kleine Gruppe sich auf den Gang zubewegte.
Mara war zu müde, um etwas zu erwidern. Etwas später, als der Lord der Ekamchi sie im Türrahmen aufhielt, um einen letzten Witz auf ihre Kosten zum besten zu geben, sah Papewaio, wie sie die Schultern straffte. Die Vorstellung, daß seine Mistress von diesem kleinen fetten Mann noch eine einzige weitere Beleidigung würde erdulden müssen, entzündete die Wut des großen Kriegers. Bevor Mara etwas sagen konnte und die anderen Gäste auf die Situation aufmerksam wurden, ergriff Papewaio den Lord der Ekamchi bei den Schultern und drängte ihn aus dem Türrahmen und aus der Sicht der anderen Speisenden.
Der Lord der Ekamchi riß erstaunt den Mund auf. Dann zitterten seine plumpen Wangen vor Wut. »Beim Zorn der Götter!« fluchte er. »Ignoranter Flegel, glaubt Ihr, Ihr könntet mich ohne Strafe anfassen?«
Die Leibwächter rasselten mit ihren Waffen, doch sie standen hinter seinem fetten Rücken und hatten keine Möglichkeit, Papewaio zu erreichen.
Der Truppenführer der Acoma reagierte auf das Geschrei mit nüchterner Gleichgültigkeit. »Wenn Ihr meine Herrin noch einmal belästigt, werde ich mehr tun, als Euch nur anzufassen«, warnte er. »Ich werde Euch mit Gewalt anfassen!«
Ekamchi geiferte. Seine Wachen zogen die Schwerter halb heraus; sie hielten sich nur deshalb zurück, weil Papewaio ihrem Herrn Schaden zugefügt haben würde, ehe sie ihn daran hindern konnten.
»Tretet zur Seite«, forderte Mara den Lord, der den Durchgang versperrte, mit klarer Stimme auf. »Selbst Ihr wagt es nicht, die Geburtstagsfeier des Kriegsherrn mit Blutvergießen zu beflecken, Techachi von den Ekamchi.«
Das Gesicht des fetten Lords rötete sich noch mehr. »Wenn ein Diener Hand an einen Mann meines Ranges legt, bedeutet es für ihn das Todesurteil«, nörgelte er.
»Ich verstehe«, sagte Mara und nickte weise.
Papewaio nahm seinen Helm ab und enthüllte das schwarze Tuch der Scham, das bereits um seinen Kopf gewunden war. Er lächelte.
Der Lord der Ekamchi wurde blaß, trat zur Seite und stotterte hastig eine Entschuldigung. Er konnte nicht die Exekution eines Mannes fordern, der bereits zum Tode verurteilt war; und wenn er seinen Wächtern befohlen hätte anzugreifen, hätte er dem Schuft lediglich einen ehrenhaften Tod durch die Klinge beschert. Der Lord, der sich in einer mißlichen Lage gefangen fühlte und Mara um so mehr dafür haßte, stolzierte zum Bankett zurück.
»Geh rasch weiter, alte Mutter«, flüsterte Mara Nacoya zu. »Hier auf den Fluren ist es nicht sicher für uns.«
»Glaubt Ihr, Eure Gemächer wären sicherer?« gab die alte Frau zurück, doch sie kam dem Wunsch ihrer Herrin nach und beschleunigte ihren Schritt.
Doch wie Mara vermutet hatte, bekam Nacoya durch den privaten Rahmen und die Ruhe wieder einen klaren Kopf. Sie hatte bequemere Kleidung angezogen und saß auf den Kissen, während sie ihre Herrin trocken über die verschiedenen Möglichkeiten, an einem feindlichen Hof zu überleben, aufklärte.
»Ihr müßt Lampen draußen aufstellen, jeweils gegenüber dem Fensterladen«, beharrte sie. »Auf diese Weise wird ein Attentäter, der einzudringen versucht, einen Schatten an der Wand werfen, und Ihr könnt ihn kommen sehen. Außerdem müssen die Lichter hier drinnen unbedingt zwischen Euch und den Fenstern aufgestellt werden, damit Eure eigene Gestalt sich nicht als Silhouette für jemanden abbildet, der draußen lauert.«
Mara nickte; sie war weise genug, Nacoya weiter plappern zu lassen. Den Trick mit den Lampen hatte sie von Lano gelernt und gleich eine ihrer Zofen mit dieser Aufgabe betraut. Schon bald saßen sie und die alte Frau in Licht gebadet da, während die unerschütterliche Gestalt Papewaios am
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