Die Stunde der Wahrheit
hinter einer Wolke verblaßte. Von Zeit zu Zeit nickte Papewaio ein, nur um beim kleinsten Hauch eines Geräusches in die Höhe zu schießen. Als der Angriff dann tatsächlich kam, war er dennoch eingeschlafen.
Mara fuhr mit einem Ruck aus dem Schlaf; sie schwitzte und war verwirrt und unsicher, wo sie sich befand. »Cala?« murmelte sie. Cala war die Zofe, die ihr gewöhnlich zu Hause diente.
Dann weckten sie ein schreckliches Reißen von Papier und das Geräusch von brechendem Holz vollends. Körper krachten nicht weit von ihren Kissen entfernt auf die Ziegel des Fußbodens, gefolgt vom schmerzerfüllten Stöhnen eines Mannes.
Mara rollte sich von den Kissen und stieß dabei Nacoya an. Die alte Frau erwachte mit einem schrillen Schreckensschrei, und während Mara sich auf der Suche nach der schützenden Ecke, die Papewaio vorbereitet hatte, durch die Dunkelheit tastete, blieb Nacoya zurück. Ihre Hände sammelten die Schals zusammen und warfen sie in Panik über die Lampe. Feuer schoß wie eine Fontäne empor, blitzend und blendend in der Dunkelheit. Mara kam mit einem Ruck zum Stehen, ihre Schienbeine stießen gegen einen unvertrauten Beistelltisch. Schreckliche Geräusche erfüllten die Dunkelheit jenseits des zerrissenen Ladens.
Mara schrie jetzt und flehte um Hilfe von Lashima, während sie durch das flackernde Feuer schielte, das um die Lampe tobte. Sie sah, wie Nacoya ein Kissen hob und alles zusammen gegen den zerstörten Laden warf, wie es das zerrissene Papier entzündete.
Die Flammen schossen wild empor, sie warfen goldenes Licht über die verdrehte Gestalt eines Fremden, der der Länge nach auf der Türschwelle lag und mit Papewaio rang. Der Truppenführer der Acoma kauerte auf dem Mann, seine Hände krallten sich um seinen Hals. Die Kämpfenden schienen ungefähr gleich groß und gleich kräftig zu sein, doch wenige waren zu einer ähnlichen Kampfeswut wie Papewaio fähig. Jeder der beiden versuchte den anderen zu erwürgen. Papewaios Gesicht war eine einzige rote, schmerzverzerrte Maske, genau wie das seines Gegners. Dann schnappte Mara nach Luft. Mit einem tiefen Schrecken sah sie den Dolch, der aus einem Armloch von Papewaios Rüstung herausragte.
Trotz seiner Verwundung besaß Papewaio noch außerordentliche Kraft, und die Finger um seinen Hals gaben nach. Mit einem letzten Ruck riß er den Kopf des Attentäters hoch, zog mit beiden Händen daran und brach ihm mit einem berstenden Geräusch das Genick. Schlaffe Arme rutschten von Papewaios Hals, der Körper zuckte ein letztes Mal. Papewaio lockerte seinen Griff und ließ den Körper mit dem schrecklich verdrehten Kopf zu Boden gleiten. Währenddessen bewegten sich schwache Schatten im Hofeingang hinter ihm. Nacoya wartete nicht ab, als was sie sich entpuppen würden, sondern erhob ihre Stimme zu dem lautesten Schrei, den sie hervorbringen konnte. »Feuer! Aufwachen! Aufwachen! Es brennt im Haus!« Mara griff die Idee auf und stimmte in die Rufe ein. In den trockenen Sommern konnte sich ein tsuramsches Herrenhaus als Folge einer falsch behandelten Lampe nur zu leicht entzünden. Und die Flammen, die Nacoya in Gang gesetzt hatte, fraßen sich bereits gierig durch das Gerüst, von dem die Dachziegel gehalten wurden. Die Minwanabi, ihre Bediensteten und die Gäste konnten die Bedrohung durch ein Feuer nicht einfach links liegen lassen. Sie würden kommen, aber vermutlich zu spät, als daß es noch von Bedeutung wäre.
Als das Licht heller wurde, sah Mara, wie sich Papewaio suchend nach seinem Schwert umblickte. Er schaute über die Schulter und verschwand aus ihrem Blick, als würde er nach etwas greifen. Das darauf folgende Geräusch ließ Mara das Blut in den Adern gefrieren: Es war das Schmatzen eines Schwertes, das sich in Fleisch grub, dann ein qualvolles Stöhnen. Sie rannte los, rief gleichzeitig seinen Namen. Der schwache Glanz seiner grünen Rüstung führte sie zu ihm, bis sie ihre Ehrenwache schwanken und schwer zu Boden stürzen sah. Hinter ihm glänzte der orangefarbene Federbusch eines Offiziers der Minwanabi im Licht der tanzenden Flammen. Truppenführer Shimizu richtete sich mit blutverschmiertem Schwert auf. In seinen Augen las Mara die reine Mordlust.
Dennoch floh sie nicht. In den anderen Gemächern hinter ihr wurden Lichter angezündet und Läden zurückgezogen; bemäntelte Gestalten rannten herbei, aufgeschreckt von Nacoyas Schreien.
Die Gegenwart von Zeugen schützte Mara jetzt, und sie trat dem Mörder Papewaios entgegen.
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