Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
Gesicht. Dann machte er eine unerwartete Drehung und stellte sich vor mich hin, so dass ich plötzlich mit dem Rücken zum kalten Metallgitter stand. Der Vorteil war, dass mein Oberkörper gegen Michael gepresst wurde.
Er beugte sich herab und vergrub das Gesicht an meinem Hals. Ich langte nach hinten und umfasste die Gitterstangen, um mich aufrecht halten zu können. Die Jacke glitt von meinen Schultern. Es war, als würde ich lichterloh brennen, und in diesem Moment hätte ich mir kein schöneres Ende vorstellen können, als in Flammen aufzugehen.
Ich hatte noch nie Alkohol getrunken – verträgt sich nicht gut mit Psychopillen –, aber ich wusste, dass es sich so ähnlich anfühlen musste, wenn man betrunken war. Meine ganze Welt geriet ins Wanken, und ich hätte alles gegeben, um mehr von ihm zu bekommen. Wenn auch nur für einen winzigen Augenblick.
Dann sah ich plötzlich aus dem Augenwinkel ein rotes blinkendes Licht.
Die Sicherheitskamera.
15. KAPITEL
E s bringt, glaube ich nichts, wenn du sie kaputt machst.« Ich hatte einen Sonnenschirm aus dem Ständer gezogen und versuchte vergeblich, die Kamera damit von der Wand zu schlagen.
»Wirklich. Der Film wurde bestimmt schon irgendwo gespeichert.« Er hielt sich zwei Finger über die Lippen, um sein Grinsen zu verbergen.
Ich schleuderte den Schirm zu Boden, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn grimmig an.
Er brach in volltönendes Gelächter aus. Wäre ich nicht so wütend gewesen, hätte ich mich davon anstecken lassen. Meine Gefühle wirbelten durcheinander. Ich fühlte mich zurückgestoßen.
»Hör zu, mein Schatz.« Die liebevolle Anrede ließ meinen Zorn verrauchen. Nichts anderes hätte das bewirken können. Ich konnte die Zuneigung in seinen Augen nicht wegdiskutieren, weil ich sie auch empfand. »Wir befinden uns hier auf gefährlichem Terrain.«
»Hier ist nur eins gefährlich, und das bin ich. Warte nur, bis ich Thomas zwischen die Finger kriege.«
»Emerson …«
Ich legte den Kopf zur Seite. »Warum plötzlich so förmlich?«
»Em, gut, dass du die Kamera entdeckt hast.« Seine Worte klangen, als wollte er sich selbst überzeugen. »Wir hätten sonst vielleicht ein Riesenproblem gekriegt.«
»Im Moment könnte die Welt aus der Erdachse fallen und es würde mir am Ar… vorbeigehen.«
Michaels Blick fiel auf meine nackten Schultern, und er zog meine Jacke hoch. »Ich hab gewusst, dass es so zwischen uns sein würde. Aber das hat mich trotzdem nicht auf dich vorbereitet. Tut mir leid.«
»Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es mir leidtut.«
»Die Regeln, die private Beziehungen verbieten, haben einen guten Grund.« Er deutete auf das Geländer und schloss die Augen. »Das darf nicht noch einmal passieren.«
Ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Aber bevor meine Welt aus den Fugen geriet, hatte ich wie jedes andere junge Mädchen manchmal von irgendwelchen Filmstars oder Musikern geträumt, doch die vergangenen paar Jahre waren wie eine Achterbahnfahrt – mal mit, mal ohne Psychotabletten. Ich wusste nicht einmal, wie normale Beziehungen funktionierten, und Michael und ich waren alles andere als normal. Von null auf hundert in fünf Sekunden. Ich würde es bestimmt ins Guinnessbuch der Rekorde schaffen, unter der Kategorie: »Verlorene Zeit nachholen.«
Michael rieb sich erneut das Gesicht. »Wir dürfen uns nicht verwirren lassen. Es gibt höhere Ziele, und die dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.«
»Ich bin nicht verwirrt.« Nur verärgert. »Und welche höheren Ziele? Wir sollen doch nicht die Welt retten oder so.«
Er blieb stumm.
»Michael?«
Ich überlegte, ob ich ihn noch einmal über die Schulter schleudern sollte, um mich besser zu fühlen, und unterbreitete ihm den Vorschlag.
»Wann erklärst du mir endlich, wie du das machst?«
Michael und ich saßen auf dem flachen Teil des Dachs vor unseren Schlafzimmerfenstern. Nachdem wir in unsere jeweilige Wohnung zurückgekehrt waren, hatten wir uns erneut hier draußen getroffen; schließlich war es schon spät, und ich wollte nicht, dass mein Bruder irgendwelche Fragen stellte, die mir ohnehin bevorstanden, wenn er sein Spionagematerial auswertete. Hoffentlich würde er mir glauben, dass nichts passiert war.
Was ja auch der Wahrheit entsprach. Bedauerlicherweise.
Wir bemühten uns, einen großen Sicherheitsabstand zu wahren. Doch egal wie weit Michael von mir entfernt saß, seine unwiderstehliche Anziehungskraft war allgegenwärtig.
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