Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
strich mit dem Finger über seine Unterlippe und sehnte mich danach, ihn zu küssen.
»Mindestens. Ich möchte sein Vertrauen nicht missbrauchen. Du etwa?«
Ich presste die Handflächen gegen seine Brust und fragte mich, ob sie sich auf seiner Haut wie ein aufgeladener Defibrillator anfühlten. »Nein.«
Michael zögerte eine Sekunde lang. Eine entscheidende Sekunde, in der alles in der Schwebe war. Dann beugte er sich zu mir, und ich krallte mich an seinem T-Shirt fest. Seine Lippen streiften meine.
Einmal.
Ich schnappte nach Luft.
Zweimal.
Keine Reaktion von mir. Abgesehen von einem kleinen Seufzer vielleicht.
Dreimal.
»Michael?«, hauchte ich seinen Namen. Sein Atem verriet mir, dass seine Selbstbeherrschung ins Wanken geriet. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und wuschelte ihm durchs Haar. »Du wirst bestimmt gefeuert.«
All die elektrische Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hatte, entlud sich in einem Hitzeschwall, sobald seine Berührung ein wenig beherzter wurde. Er umschloss mein Gesicht mit den Händen und steuerte damit die Intensität unseres Kusses, der schnell heftig und verwegen wurde. Es war ein atemberaubender Übergriff.
Er küsste mich, als wäre der Kuss für ihn so lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen. Im nächsten Moment war es auch schon vorbei. Er wich zurück und wirkte gehetzt.
»Hab ich was falsch gemacht?« Ich berührte meine Lippen und vermisste seine Glut.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf und schob die Hände in die Hosentaschen.
Ich wollte nicht, dass sie in den Taschen steckten. Ich wollte sie auf meinem Körper spüren. »Warum hast du …«
»Nicht weil ich aufhören wollte, dich zu küssen.« Er blickte auf meinen Mund. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und mein Blut fühlte sich an wie heiße Lava in meinen Adern. »Es ist der falsche Moment.«
Es lag an den Umständen. Nicht an mir. Ich musste grinsen. »Würdest du es gern noch einmal versuchen? Später?«
»Ja, das würde ich sehr gern.« Er lächelte, aber in seinem Lächeln lag ein Anflug von Traurigkeit. »Ich lass dir ein bisschen Zeit, damit du … äh … meine Haare in Ordnung bringen kannst.«
»Deine Haare?«
»Nein … äh … deine.« Er seufzte. »Ich wollte sagen, wir sehen uns gleich unten.«
Er drehte sich um und stürmte aus dem Zimmer, wobei er leider vergaß, vorher die Tür aufzumachen.
Ich konnte mir kaum das Lachen verkneifen, bis er sein Vorhaben in die Tat umgesetzt hatte.
Ich folgte dem verlockenden Duft nach Popcorn und Butter nach unten in die Küche. Als ich eintrat, waren alle mit verschiedenen Vorbereitungen beschäftigt: Cat ging immer noch ihre Listen durch, Dune klickte sich durchs Internet, und Kaleb saß erschöpft daneben und sah den anderen zu. Das Popcorn fing an zu knallen, und Nate wachte argwöhnisch über die Mikrowelle.
»Ich brauche einen Ring.«
Michael hätte fast die Tasche mit dem Geld fallen lassen, das er gerade zählte. Er schaute zu mir auf, und der Hauch eines Lächelns spielte um seine Lippen.
Ich verscheuchte die Gedanken an diese Lippen und konzentrierte mich auf unsere bevorstehende Aufgabe. »Für die Zeitreise. Duranium oder was auch immer.«
»Duronium«, korrigierte mich Cat.
»Ja, das meine ich.«
»Hab ich dir besorgt.« Kaleb zog einen schmalen Ring aus der Tasche und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich habe ihn heute Morgen aus dem Safe geholt.«
»Den kann ich nicht annehmen«, protestierte ich. »Der gehört doch deiner Mom, stimmt’s?«
Er griff nach meiner Hand. »Meine Mom ist nicht … in der Lage, meinem Dad zu helfen. Du schon. Sie würde wollen, dass du ihn bekommst. So ist es, als wäre ein Teil von ihr bei euch.«
Michael beobachtete uns von seinem Platz aus. Nach dem, was oben geschehen war, erwartete ich Eifersucht, zumindest ein bisschen, aber es war nichts davon zu merken.
Ich nahm den Ring entgegen und steckte ihn auf den Zeigefinger. »Perfekt«, sagte ich zu Kaleb.
»Perfekt.«
Der feierliche Augenblick wurde durch das Piepen der Mikrowelle unterbrochen.
»Okay, Emerson.« Cat kam auf mich zu und schob mich auf einen Platz am Küchentisch. »Du bekommst jetzt einen Crashkurs in Sachen Zeitreise. Michael ist an deiner Seite, also brauchst du nur die Basics. Das ist gut so, denn mehr Zeit haben wir sowieso nicht.«
»Soll ich mir Notizen machen?«
Nate stellte die Schüssel mit dem heißen Popcorn auf den Tisch, und ich langte ordentlich zu. Seelenfutter. Bevor ich mir was
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