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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Wahrscheinlich, weil er etwas liefern wollte. Das liegt doch sehr nahe, nicht wahr? Falls du irgendwas weißt, dann sag es mir!»
    «Nichts, Dottore, ich weiß absolut nichts! Es ist eine Verschwörung, das sag ich Ihnen. Eine Verschwörung gegen mich, gegen uns alle, Dottore!»
    Noch einer mit Paranoia, dachte Guerrini, und wieder spürte er seine Phantomschmerzen. Unter anderen Voraussetzungen hätte er sicher gelacht. Fabrizio sah aus, als litte er ebenfalls Schmerzen. Endlich stieß er einen Satz hervor, der ihm offensichtlich Mühe machte: «Da ist ein Schwarzer in Il Bosco , Dottore. Angeblich wohnt er bei Signor Ferruccio. Seit der hier ist, wird dauernd eingebrochen, obwohl keiner was meldet. Aber ich weiß es! Der Glaser war bei Ihnen, Dottore, und bei den Schweizern. Außerdem wurden in anderen Häusern die Türen eingetreten oder die Schlösser ausgebaut. Ich hab nichts gegen Schwarze, aber der gefällt mir nicht! Er läuft überall rum! Ein paarmal hab ich ihn in Privatgärten erwischt. Dann hat er gelacht und gesagt, dass er einen Spaziergang macht. Aber es ist verboten, in Privatgärten spazieren zu gehen. Ich hab versucht, mit Signor Ferruccio darüber zu reden, aber der hat mich nur angesehen und gelächelt. ‹Lass das, Fabrizio!›, hat er gesagt. Was soll man da machen, Dottore?»
    Wer sagt, er habe nichts gegen Schwarze, hat was gegen sie, dachte Guerrini. Schade, dass Laura nicht da ist. Vielleicht würde sie mir glauben, dass in diesem Land immer Schwarze, Rumänen, Zigeuner oder Albaner an allem schuld sind. Laut sagte er: «Warum wohnt der Schwarze bei Ferruccio?»
    «Er ist angeblich sein neuer Hausdiener. Macht alles.»
    «Ist doch nichts gegen zu sagen, oder?»
    Fabrizio zuckte die Achseln und verzog den Mund.
    «Gibt genügend Italiener, die Arbeit suchen.»
    «Vielleicht ist der Schwarze Italiener!»
    «Ah!» Fabrizio machte eine heftige wegwerfende Bewegung mit seinem rechten Arm. «Reden wir nicht drüber. Ist besser! Macht mich wütend! Was ist mit Ihrem Auto passiert, Dottore?»
    «Dummer Streich! Ich wusste gar nicht, dass es auch in Portotrusco Jugendliche gibt, die solche Sachen machen.»
    Fabrizio starrte Guerrini an. «Die gibt’s auch nicht, Dottore! So was ist hier noch nie passiert!»
    «Jetzt ist es passiert! Letzte Nacht, mitten auf dem Marktplatz von Portotrusco!»
    «Cazzo!»
    «Sì, cazzo!»
    Zögernd drehte Fabrizio sich um, murmelte noch einen Gruß und ging langsam zu seiner Vespa. Ehe er davonfuhr, umrundete er noch zweimal kopfschüttelnd den Lancia des Commissario.
     
    In Gedanken versuchte Guerrini alle Bruchstücke zusammenzusetzen, die er in den letzten Tagen aufgelesen hatte. Wie Laura war er inzwischen der Überzeugung, dass auch der tote Araber etwas mit den Vorkommnissen seit ihrer Ankunft zu tun hatte. Man hatte ihm die Hand abgehackt, vermutlich weil er etwas gestohlen hatte. Falls es hier tatsächlich einen Ring von Kunsträubern gab, dann hatte er wahrscheinlich irgendwas Wertvolles an sich genommen, um selbst ein bisschen Geld nebenbei zu machen.
    Auch der weiße Lieferwagen hatte wahrscheinlich Kunstwerke geladen. Das würde erklären, warum der Fahrer aus dem Krankenhaus verschwunden war. Vielleicht hatte Orecchio die Kunstwerke aus dem Lieferwagen geholt, ehe die Feuerwehr eintraf, und jetzt war er mit ihnen abgehauen. Vielleicht steckte er mit dem Fahrer unter einer Decke, und der Sturm war ihnen ganz gelegen gekommen.
    Aber wieso brachten die Kunsträuber ihre Ware mit einem Lieferwagen nach Il Bosco , wieso nicht mit einem Boot? Gut, das Entladen eines Bootes am Strand würde leicht auffallen. Strandwanderer waren häufig auch nachts unterwegs.
    Aber woher kamen die Kunstwerke ursprünglich? Aus Griechenland, dem Nahen Osten, aus dem Irak? Übers Meer wahrscheinlich. Auf einer Luxusyacht? Oder wurden sie von einem Boot auf ein anderes umgeladen? Auf das Boot eines Fischers zum Beispiel, der einen BMW fuhr und eine Eigentumswohnung besaß, obwohl er nur ein paar lächerliche Fische fing. Einer, der eine Machtstellung in Portotrusco innehatte. Vielleicht stammte der weiße Lieferwagen von der Fischfabrik … nein, es wurde zu kompliziert. Jedenfalls brachte ein weißer Lieferwagen die Kunstwerke nach Il Bosco . Warum und wohin? In die graue Villa, in der Guerrini als Jugendlicher den entführten Ministerpräsidenten Aldo Moro vermutet hatte? In eine der Villen von Colalto? Zu den Schweizern oder zu Ferruccio? Das schmerzhafte Ziehen wurde

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