Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
Vom Netzwerk:
sie hoffte, dass er eingeschlafen war. Das würde ihr Zeit geben, sich innerlich vorzubereiten. Behutsam zog sie die Schublade auf und griff nach ihrer Brieftasche.
    «Ich schlafe nicht!»
    Sie zuckte zusammen und drehte sich schnell um. Guerrini lag noch immer so da wie zuvor, hatte nicht einmal den Kopf bewegt, seine Augen waren noch immer geschlossen.
    «Hast du ihn gefunden?»
    «Nein.»
    «Grazie!»
    «Vielleicht sollten wir doch ein paar Tage wegfahren …»
    «Ah, warum das denn auf einmal?»
    «Es hat mir nicht gefallen am Strand. Zu viele tote Katzen.»
    Die Symphonie steigerte sich.
    «Katzen?» Er setzte sich auf und sah sie irritiert an. Das vom Seewind gelockte Haar machte sein Gesicht weicher und irgendwie sehr sinnlich.
    «Ja, Katzen», murmelte sie.
    «Katzen!», wiederholte er mit hochgezogenen Augenbrauen. «Fahren wir also nach Rom.»
    «Nein, nicht Rom. Rom klingt auch nach toten Katzen. Und nach Stress.»
    «Bene. Es muss ja nicht Rom sein. Wo willst du eigentlich mit deiner Brieftasche hin?»
    «Nirgends.» Laura nahm dreißig Euro und legte die Brieftasche wieder in die Schublade zurück. «Ich habe am Strand einen afrikanischen Händler getroffen und ihm etwas abgekauft.»
    «Nein!»
    «Doch!»
    «Was? Und warum?»
    «Ich verweigere die Aussage!»
    «Entschuldige.»
    Laura lächelte ihm zu, ging an ihm vorbei und verschwand so leise, wie sie gekommen war, durch die Terrassentür in den Garten.
     
    Der afrikanische Händler saß noch genauso am Strand, wie sie ihn verlassen hatte. Nur der Koffer war inzwischen wieder verschlossen. Ihre rote Sonnenbrille und die Creolen lagen auf einem bunten Tuch im Sand. Laura setzte sich neben das Tuch und glättete die Geldscheine auf der flachen Hand.
    «Darf ich dich etwas fragen?»
    Er senkte den Kopf und kniff die Augen ein bisschen zusammen.
    «Was?»
    «Bist du vom Ende der Bucht bis hierher gelaufen?»
    «Sì, natürlich. Weiter hinten ist noch ein Hotel. Da sind auch nicht viele Touristen, aber wenigstens ein paar. Im Oktober muss man weit laufen.»
    Laura reichte ihm die Scheine. Er griff so langsam nach ihnen, als zögerte er, sie anzunehmen.
    «Hast du auf deinem Weg etwas Ungewöhnliches gesehen?»
    Seine Hand umschloss die Geldscheine, und er schaute auf den Sand, dann zum Himmel hinauf.
    «Was soll ich gesehen haben?»
    «Du sollst gar nichts gesehen haben. Aber vielleicht hast du etwas gesehen.»
    «Das Meer, den Dreck am Strand. Ein Motorboot. Sonst nichts.»
    «Was für ein Motorboot?»
    «Ein Motorboot eben. Warum fragst du?»
    «Was hat das Motorboot gemacht?»
    «Es fuhr in den Wellen herum, ziemlich lebensgefährlich. Ein Verrückter wahrscheinlich!» Er lächelte unsicher und stand auf. «Ich geh jetzt besser.»
    «Warum bist du eigentlich dem Mann ausgewichen, mit dem ich am Strand gesprochen habe?»
    Der Afrikaner warf den Riemen des Koffers über seine Schulter. «Weil der aussah wie einer, den die Polizei hinter uns herschickt. An diesem Strand dürfen wir nicht laufen, Signora. Das ist verbotenes Gebiet.»
    «Woher weißt du das?»
    Er lachte.
    «Spricht sich rum. So was muss man wissen, wenn man unterwegs ist.»
    Laura lächelte. «Wahrscheinlich. Nur noch eine Frage, ehe du gehst. Ist das Motorboot hier gewesen? Ich meine, wo wir jetzt sitzen?»
    Er ging bereits, wandte sich noch einmal um. «Kann sein!», rief er. «Ich weiß es nicht genau. Irgendwo war es ziemlich nahe am Strand. Du kannst das Tuch behalten. Ciao.»
    «Grazie und viel Erfolg.»
    Er warf die schwere Tasche über seine Schulter. Laura hatte das Gefühl, dass er noch etwas sagen wollte, aber er ließ es und wanderte langsam in Richtung Portotrusco davon. Allmählich wurde er kleiner, ab und zu bückte er sich nach einem Stück Strandgut.
    Wieso geht er an diesem Strand entlang? Nach Portotrusco sind es mindestens vier Kilometer, und er wird auf diesem Weg kaum Geschäfte machen. Außerdem ist es verbotenes Gebiet. Ich verstehe das nicht, dachte Laura. Vielleicht spioniert er leere Villen aus. Verdammt, am liebsten würde ich meinen Kopf abschalten. Ich habe Urlaub, ich sitze am Meer und schaue zu einer schwebenden Insel hinüber, es riecht nach Seetang und Salz, die Sonne scheint, und ein paar Meter von hier liegt mein Geliebter auf einer Couch und hört Beethoven.
    Ich bin nicht für diese Wasserleiche zuständig!
    Halblaut wiederholte sie diesen Satz noch zwei Mal. Dann streckte sie sich im Sand aus und versuchte eine Art autogenes Training, stellte sich vor,

Weitere Kostenlose Bücher