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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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gewöhnlich und trug warmschimmernden Lippenstift auf. Nicht schlecht für beinahe siebenundvierzig, dachte sie. Dann schlich sie ins Schlafzimmer hinüber, legte die neuen Ohrringe mit den goldenen Sternchen an und schlüpfte in ihren schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt und in die hellblauen Jeans. Sie drehte sich vor dem großen Spiegel. Wunderbar, Zeit für diesen Quatsch zu haben. Sie schlüpfte in halbhohe schwarze Pumps und lächelte sich im Spiegel zu: dein Auftritt, Laura!
     
    Als sie die schmale Wendeltreppe herabkam, drehten sich beide Männer nach ihr um, und beide hoben beinahe gleichzeitig die Augenbrauen. Es fiel Laura nicht leicht, ein Kichern zu unterdrücken. Sie nickte Angelo zu und warf einen fragenden Blick auf seinen Besucher.
    Guerrini zögerte einen Augenblick, dann stellte er Laura knapp als «Signora Gottberg» vor, wies mit einer eleganten Geste auf den großen Mann mit dem seltsamen Schnurrbart und sagte langsam und ohne jede Erläuterung: «Conte Enrico di Colalto.»
    «Oh, das klingt beeindruckend.»
    «Ich freue mich.»
    Auch Enrico di Colaltos Händedruck war kraftlos und die Andeutung eines Handkusses so dezent, dass man seine Absicht nur ahnen konnte.
    «Welche Ehre, eine Freundin meines Freundes Angelo kennenzulernen.» Seine Stimme war noch leiser geworden, und Laura bemerkte, dass seine Augen halb geschlossen waren. Oder hatte er nur hängende Lider? Jedenfalls verstärkte das noch den Eindruck eines vom Leben Erschöpften.
    Vielleicht ist er krank, dachte Laura und musterte ihn aufmerksam. Dabei traf sie seinen Blick und stellte fest, dass er mindestens so aufmerksam war wie sie. Ein Reptil, dachte Laura. Die stellen sich auch halbtot, und dann schlagen sie blitzschnell zu. Um die Mundwinkel des Conte zuckte ein leichtes Lächeln.
    «Haben Sie schon die heißen Quellen in Saturnia besucht, Signora? Die sind eine Wohltat um diese Jahreszeit. Es gibt Wunderbares zu entdecken in der südlichen Toskana, die Welt der Etrusker, die noch immer um uns herum existiert, obwohl diese Kultur vor über zweitausend Jahren ausgelöscht wurde. Sie sollten auch nach Tarquinia fahren, nach Tuscania … nun, ich bin sicher, dass Angelo Ihnen all das zeigen wird. Ansonsten stelle ich mich gern zur Verfügung.»
    Guerrini stieß einen Seufzer aus.
    «Danke, Enrico. Wir werden auf dein Angebot zurückkommen.»
    «Ich hoffe sehr. Sind Sie eine Kollegin von Angelo, Signora? Gottberg ist kein sehr italienischer Name, oder?»
    «Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Florentinerin. Deshalb. Nein, ich bin keine Kollegin des Commissario.» Laura wusste selbst nicht genau, warum sie das gesagt hatte. Sie hatte nur plötzlich das Gefühl, als müsste sie sich vor diesem prüfenden Blick unter schweren Augenlidern schützen. Neben ihr räusperte sich Angelo, verschränkte die Arme und warf ihr ebenfalls einen interessierten Blick zu.
    «Laura ist Meeresforscherin», sagte er leise und sehr überzeugend.
    Die Augenlider des Grafen zuckten kaum merklich. «Dann müssen Sie unbedingt zur Insel Montecristo fahren, wenn das Meer sich wieder beruhigt hat. Es ist eine der wertvollsten Schutzzonen des Mittelmeers. Aber das wissen Sie vermutlich besser als ich!»
    «Natürlich. Aber ich bin eigentlich hier, um ein wenig auszuspannen.» Laura warf ihr Haar zurück. «Können wir Ihnen einen Drink anbieten, Conte? Oder einen Caffè?»
    Noch immer ruhten seine sehr dunklen, verhangenen Augen auf ihr.
    «No, grazie, Signora Gottberg. Ich wollte nur schnell vorbeischauen und nachsehen, wie es meinem alten Freund Angelo geht, der seit mindestens zehn Jahren nicht mehr hier war. Aber eine ganz andere Frage: Ist hier im Haus alles in Ordnung und zu Ihrer Zufriedenheit?»
    «Ja, alles ist wunderbar. Wesentlich angenehmer als auf Forschungsschiffen!»
    Kniff er ein wenig die Augen zusammen? Jetzt schaute er auf den Boden, oder genauer, auf Lauras schicke hohe Schuhe.
    «Waren Sie schon schwimmen, Signora? Nein, was für eine dumme Frage. Der Sturm, ich habe nicht daran gedacht. Aber seien Sie vorsichtig. In den letzten Jahren haben sich völlig neue Strömungen entwickelt. Gefährliche Strömungen.» Diese müde, tiefe Stimme. Spielte er sein eigenes Spiel, oder hatte er ihres durchschaut? Was spielten sie eigentlich?
    Laura schüttelte den Kopf. «Ich war nur am Strand spazieren. Das Meer ist zu unruhig. Aber ich freue mich darauf zu schwimmen.»
    «Das Wasser wird kalt sein.» Er schaute ihr direkt in die Augen. Sie hielt

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