Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
Vom Netzwerk:
gewesen, sogar außerordentlich freundlich, die Herren von der Verwaltung des Resorts. Richtig wichtig war es ihnen gewesen, dass er den Job an der Pforte annahm. Ihm war’s recht, auch das Gewehr und die Lizenz dafür. Dann ging es weiter mit den Gärtnerarbeiten und schließlich mit dem nächtlichen Geheimjob.
    Womöglich gab es zwischen all diesen Geschichten einen Zusammenhang, aber er konnte ihn nicht sehen, obwohl er sich anstrengte. Nur eines wusste er in diesem Augenblick, als er über die Hafenbrücke nach rechts abbog. Dass seit dem Sturm die Dinge völlig aus dem Gleichgewicht geraten waren und er die Kiste auf seinem Rücksitz so schnell wie möglich wieder loswerden musste. Vielleicht wäre es sogar besser, sie einfach irgendwo abzustellen und nicht nachzusehen, was drinnen war.
    Solange er über sein früheres Leben nachgedacht hatte, war es ihm halbwegs gut gegangen, jetzt liefen plötzlich wieder Schweißtropfen über Orecchios Stirn und seine Wangen und brannten in seinen Augen.
     
    «Komm, ich möchte dir ein bisschen Il Bosco zeigen und dir ein paar Geschichten erzählen. Falls du sie hören willst, meine ich.» Angelo Guerrini zog Laura von dem gelben Sofa. In den Büschen vor der Terrasse schrie ein Vogel, Beethoven war längst verstummt. Guerrini wusste inzwischen nicht mehr so recht, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, mit Laura in das Ferienhaus seiner Kindheit und Jugend zu kommen. Er fühlte sich seltsam gereizt und von Erinnerungen bedrängt. Fast alles hier erinnerte ihn an etwas, wovon sie nichts wissen konnte. Ihm kam es vor, als kehrte er in verstaubte Räume zurück, die ihr verschlossen blieben. Auch deshalb wollte er weg, das war ihm inzwischen klar geworden.
    Aber sie wollte nicht weg, das hatte sie vor wenigen Minuten in seinen Armen gesagt. «Ich wollte, ich könnte dich als Jugendlichen sehen. Die Art, wie du hier gelebt hast, was du mit deinen Eltern gesprochen hast, wer deine Freunde waren. Und wie du mit Enrico di Colalto umgegangen bist.» Wenn er ihr diese Räume öffnete, dann würde er sie näher an sich heranlassen als seine Ex-Frau Carlotta. Mit Carlotta war er nie in diesem Haus gewesen. Vielleicht hatte er Laura hierher eingeladen, weil er sie an seinem Leben teilhaben lassen wollte. Carlotta wollte sich seines Lebens bemächtigen, deshalb war er mit ihr nicht nach Il Bosco gefahren. Laura dagegen wollte ihn kennenlernen. Das war der Unterschied.
    Oder hatte er Carlotta nur von sich ferngehalten, weil er zu sehr mit sich selbst und seiner Arbeit beschäftigt gewesen war? Oder weil er zu jung für eine Beziehung war, noch zu neurotisch, unreif, egoistisch? Jedenfalls hatte er verstehen können, dass Carlotta ihn verließ. Er hätte sich auch verlassen.
    Jetzt stand er hier in diesem hohen Raum vor Laura, die ihn forschend ansah, und er wusste, dass er im Begriff war, eine wichtige Entscheidung zu treffen: nicht weglaufen, nicht nach Rom fahren und in Aktivitäten flüchten, sondern hierbleiben, die eigenen Erinnerungen aushalten und mit Laura teilen. Zum Teufel mit der Wasserleiche!
    «Ich muss andere Schuhe anziehen!» Laura lief die Wendeltreppe hinauf und verschwand im Schlafzimmer. Guerrini wartete auf der Terrasse, legte den Kopf in den Nacken und schaute einem Flugzeug nach, das, selbst nahezu unsichtbar, breite Kondensstreifen hinterließ.
    Enrico di Colalto! Er hatte ihn verdrängt, so als existierte er nicht mehr. Dabei war klar, dass dieses Haus ihm gehörte. Guerrini hatte Enrico nie besonders leiden können. Enrico war der Sohn des Geschäftsfreundes seines Vaters, deshalb hatte Angelo als Junge mit ihm spielen oder jedenfalls so tun müssen, als würde er mit ihm spielen. Und auch Enrico hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er sich nur aus diesem Grunde mit ihm abgab. Nur weil die Alten es erwarteten. Er war fünf Jahre älter und sich seines Adels stets sehr bewusst gewesen. Angelo Guerrini dagegen war nur der Sohn eines Keramikhändlers aus Siena. Der arbeitete zwar mit seinem Vater zusammen – aber welch ein Unterschied! Den Colaltos gehörten riesige Ländereien rund um Portotrusco. Verglichen damit waren die Guerrinis Bettler. Von wegen das Schwimmen beibringen! Beinahe ersäuft hätte Enrico ihn. Und das nicht nur einmal.
    Seltsam, ich habe nicht wirklich damit gerechnet, dass er auftauchen würde. Ich dachte, dass er unsichtbar bleiben würde, verborgen auf seinem Landsitz oder auf Geschäftsreise in den USA.
    Guerrini war so tief in

Weitere Kostenlose Bücher