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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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neben sie auf den Wannenrand, stützte die Ellenbogen auf seine Oberschenkel und starrte auf den Boden.
    «Und was machen wir jetzt? Rufen wir die Polizei, oder fahren wir nach Rom?»
    Mit der Fußspitze stieß Guerrini eine Flasche Mundwasser an und beobachtete, wie sie über den Boden schlitterte und mit einem leisen Pling an der Wand landete.
    «Nein, nicht die Polizei. Wir werden Colalto sagen, dass er einen Glaser schicken soll, um die Terrassentür zu reparieren. Der Wind hätte sie zugeschlagen, und dabei sei die Scheibe zerbrochen. Wir räumen hier auf und tun so, als wäre nichts passiert. Das wird diejenigen ärgern, die uns eine Warnung zukommen lassen wollten. Ich bin sicher, dass es eine Warnung ist.»
    «Ich auch. Es hat also doch jemand gesehen, dass wir die Leiche an Land gezogen haben.»
    «Ich habe die Leiche nicht an Land gezogen!»
    «Gut, ich habe sie an Land gezogen. Aber das spielt jetzt keine Rolle, oder?!»
    «Nein, es spielt jetzt keine Rolle.» Guerrini starrte noch immer auf den Badezimmerboden, diesmal schubste er einen Deostift an die Wand.
    «Dann fahren wir also nach Rom?»
    «Nein, nicht nach Rom. Wir machen Ausflüge in die Gegend … irgendwie finde ich diese Geschichte allmählich interessant. Ich meine, wir ermitteln ja nicht, wir können einfach abwarten, was passiert. Das ist auch eine Art Urlaub, oder was meinst du, Commissaria?»
    «Ich weiß nicht, Angelo. Könnte es sein, dass sich etwas verändert hat, seit du heute Morgen mit deinem Vater telefoniert hast?»
    «Wie kommst du denn darauf?» Er sah sie mit gespieltem Erstaunen an und dachte, dass sie ihn entweder ziemlich gut kannte oder einfach eine gute Ermittlerin war. Beides empfand er als reizvoll und gleichzeitig als ein wenig beunruhigend. Auch, dass sie es dabei beließ, aufstand und damit begann, das Schlafzimmer aufzuräumen.
    «Ich werde die Terrassentür verrammeln», murmelte er und ging nach unten.
     
    Viel später, nachdem das Haus aussah, als wäre es nie verwüstet worden, kochten sie Pasta mit Knoblauch und Öl, streuten getrocknete Peperoni drüber, tranken gemeinsam eine Flasche Rotwein und viel Wasser. Guerrini hatte eine CD von Fabrizio de André aufgelegt und sang leise mit. Er konnte alle Texte auswendig, und seine Stimme klang beinahe so weich und dunkel wie die des toten Sängers. Beim Lied «Il Pescatore» sprang er plötzlich auf, zog Laura vom Stuhl hoch und begann mit ihr durch die kleine Küche zu tanzen, um den runden Esstisch herum, bis sie völlig außer Atem waren, ins Schlafzimmer taumelten und nebeneinander aufs Bett fielen.
    «Meinst du, dass Lebendigkeit weh tut?», fragte er nach einer Weile.
    «Ganz sicher», flüsterte Laura und hatte in seiner Umarmung das Gefühl, als fragte er diesmal sich selbst. Als wäre er bei ihr und gleichzeitig woanders.
    Später lag sie noch lange wach. Sie spürte Kinderängste vor Einbrechern und lauschte auf die Geräusche der Nacht, Katzenkreischen, Brandungswellen, den Ruf einer Eule.
     
    Orecchio hielt die Augen fest geschlossen, obwohl er wach war. Er musste geschlafen haben. Sicher hatte er geschlafen, sonst wäre er ja nicht aufgewacht. Er hatte Kopfschmerzen. Etwas war geschehen, doch er konnte sich nicht erinnern, was. Ihm war kalt. Vorsichtig tastete er mit seiner rechten Hand, ohne die Augen zu öffnen. Er begriff nichts. Es war sehr still um ihn herum, trotzdem ahnte er, dass er nicht allein war. Deshalb ließ er seine Hand liegen und atmete ganz flach, nahm erst jetzt wahr, dass er lag, und dachte, dass man natürlich lag, wenn man schlief. Nur, er erinnerte sich nicht daran, wie er eingeschlafen war. Und warum war er nicht allein? Er schlief immer allein.
    Plötzlich war alles wieder da! Als hätte jemand ein Radio voll aufgedreht: das verschwundene Paket, seine Flucht, der seltsame Druck zwischen seinen Schulterblättern. Orecchio stieß ein Röcheln aus, konnte nur mit Mühe seinen Urin zurückhalten. Sie hatten ihn.
    Sie würden ihn umbringen! Er wusste es! Sie brachten alle Verräter um. Er war ein Verräter. Er hätte es wissen müssen, als er sich mit denen einließ. Ein Idiot, wer das nicht wusste! Er zitterte vor Angst und Kälte.
    «He! Mach die Augen auf!»
    Orecchio biss die Zähne zusammen, sein Magen krampfte. Sie würden ihn erwürgen. Mit einer Drahtschlinge. Das war bei denen so üblich!
    «Mach die Augen auf! Ich weiß, dass du wach bist!»
    Er konnte so tun, als wäre er bewusstlos. Direkt vor seinem Gesicht klatschte

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