Die Stunde der Zikaden
begann zu schlittern, rutschte seitlich über die schmale Staubstraße und verfehlte mit dem Heck ganz knapp ein paar Zypressen. Guerrini gab Gas, brachte den Wagen wieder auf den Weg zurück, nahm die nächste Kurve und riss erschrocken das Steuer herum. Wieder standen sie quer, Reifen knatterten, Kiesel knallten gegen Blech, etwas Riesiges, Dunkles tauchte vor ihnen auf. Laura duckte sich, schützte ihren Kopf mit beiden Armen, der Wagen drehte sich, kippte nach vorn, während auf ihrer Seite ein metallenes Kreischen zu hören war. Dann standen sie.
«Verflucht! Jetzt reicht’s mir aber!» Guerrini brüllte. «Ist dir was passiert, Laura?» Er brüllte noch immer.
«Nein, ich glaube nicht. Was zum Teufel war denn das?»
«Da steht ein verdammter Riesenpflug mitten auf der Straße. Genau hinter der Kurve! Ohne Beleuchtung! Der war noch nicht da, als wir rauffuhren! Was ist das eigentlich für ein lächerliches Spiel?»
Laura wandte den Kopf und musterte die gewaltigen glänzenden Pflugscharen, an denen der Lancia hängen geblieben war.
Warnung Nummer drei oder vier, dachte sie.
«Halbherziger Mordversuch Nummer eins», sagte sie laut. «Ich glaube nicht, dass Enrico sich wirklich über deinen Besuch gefreut hat.»
Guerrini sprang aus dem Wagen. Laura rutschte auf den Fahrersitz hinüber und folgte ihm. Fluchend stand er vor dem Lancia und beleuchtete mit einer Taschenlampe den Schaden. Die Pflugscharen hatten breite, tiefe Kratzer in die rechte Wagenseite gerissen.
«Er hat die Reparatur der zerbrochenen Glasscheiben übernommen, dann kann er auch diese Schweinerei bezahlen. Wir fahren zurück!»
Laura wartete, bis Guerrini den Wagen aus den Klauen des Pflugs befreit hatte, was nicht ohne ein paar zusätzliche Kratzer abging und den Zorn des Commissario noch mehr anfachte.
«Meinst du, dass du mir einen Moment zuhören kannst?», fragte sie durch die offene Wagentür, ehe sie einstieg.
«Nein, ja, was ist denn?»
«Ich halte es für keine gute Idee, wenn wir jetzt zurückfahren und denen eine große Szene vorführen. Du hast doch ein Abschleppseil im Wagen. Ich finde, wir sollten den Pflug abschleppen und irgendwo in einen Graben kippen. Vielleicht deutet der ehrenwerte Conte das ebenfalls als Warnung. Was es ja ist. Allmählich verliere ich nämlich auch den Humor.»
«Und wie soll er die Warnung verstehen?»
«Wir haben seine Kriegserklärung verstanden.»
«Angenommen wäre vielleicht richtiger.»
«Meinetwegen … angenommen also.»
Guerrini fand Lauras Idee hervorragend. Es war ein Streich, wie er sich als Junge unzählige ausgedacht und doch nie ausgeführt hatte. Sie machten sich an die Arbeit und empfanden grimmiges Vergnügen dabei. In Millimeterarbeit steuerte Guerrini den Lancia um den Pflug herum, denn das Gerät versperrte den größten Teil der schmalen Straße zwischen den Zypressen. Das Abschleppseil zu befestigen, machte keine große Mühe, Guerrini gab nur zu bedenken, dass es bis zur Hauptstraße zwar nicht mehr steil, aber doch noch sanft bergab ging, sodass der Pflug schneller rollen könnte als der Wagen.
«Das Seil muss ganz kurz sein», überlegte Laura. «Der Pflug muss sozusagen auf dem Heck des Wagens aufsitzen.»
«Würdest du das deinem alten Mercedes antun, Laura?» Guerrini stöhnte.
«In diesem Fall würde ich es.»
«Du bist grausam!»
Der Lancia brauchte eine Weile, ehe er es schaffte, den Pflug in Bewegung zu setzen, dann aber gelangten sie ohne Komplikationen bis zur Hauptstraße. Nur zweimal stieß der Pflug mit einem leichten Schlag auf die Stoßstange des Lancia. Guerrini zuckte jedes Mal zusammen, als litte er Schmerzen.
«Wir können nur hoffen, dass nicht viel Verkehr ist, sonst fallen wir mit Sicherheit unangenehm auf.» Guerrini wartete an der Einfahrt zur Hauptstraße. Kein anderes Fahrzeug war in Sicht, und so machten sie sich samt ihrem sperrigen Anhänger auf den Weg nach Portotrusco. Einmal wurden sie von einem anderen Wagen überholt, dessen Fahrer ein paarmal hupte, dann aber schnell weiterfuhr.
«Wir müssen das Ding dringend loswerden! Ich habe keine Lust, von Kollegen beim Diebstahl eines Pflugs erwischt zu werden!»
«Ich liebe dich, Angelo!»
«Tatsächlich? Und warum gerade jetzt?»
«Weil ich bisher noch keinen Menschen gefunden habe, mit dem ich einen Pflug stehlen konnte.»
«Du hast wohl verdammt hohe Ansprüche!»
«Verdammt hohe!»
Ehe der nächste Wagen, dessen Lichter Guerrini im Rückspiegel entdeckt hatte, sie
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