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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Brandung erbarmungslos immer wieder gegen die Felsen schleuderte. Er konnte nichts machen, deshalb verständigte er die Carabinieri, denen es erst nach zwei Stunden unter Mühen gelang, den Toten aus dem Wasser zu bergen. Es war kein besonders erfreulicher Anblick, und zwei der jüngeren Soldaten hätten sich beinahe übergeben. Die Hände des Toten waren mit einem Draht auf dem Rücken gefesselt, und er hatte schwere Kopfverletzungen. Man schickte ihn nach Grosseto ins gerichtsmedizinische Institut und war froh, ihn schnell wieder loszuwerden.
    «Wahrscheinlich saß er in dem Wagen, der über die Klippen gerollt ist», sagte der Commandante. «Und wie es aussieht, hat er das nicht freiwillig getan.»
     
    «Welches Urlaubsprogramm schlägst du für heute vor?» Laura schob einen Löffel Joghurt in den Mund.
    «Du kannst wählen: Besichtigung der Etruskerstadt Rosellae oder ein Bad in den heißen Schwefelquellen von Saturnia. Davor ein kurzer Strandspaziergang mit einem zufälligen Besuch bei den Schweizern oder bei Ruben. Auch das kannst du dir aussuchen. Heute Abend würde ich gern beim Fischer Tibero vorbeischauen. Dagegen hast du sicher nichts, denn er sieht gut aus und wird dir bestimmt zuzwinkern.»
    Laura verschluckte sich an ihrem Joghurt.
    «Außerdem werde ich den Schaden an meinem Wagen schätzen lassen und Enrico eine Rechnung zukommen lassen!»
    «Dann wirst du eine Rechnung über die Bergung des Pflugs bekommen.»
    «Damit haben wir nichts zu tun!»
    «Ach komm! Da hängt noch dein halbes Abschleppseil dran!»
    «Wer sagt, dass es meins ist? Es gibt unzählige Abschleppseile! Außerdem ist es vollkommen unmöglich, mit einem Lancia einen Pflug abzuschleppen! Er wird es nicht wagen, Laura. Sonst kassiert er eine Anzeige wegen Mordversuchs.»
    «Er wird es auf seine Arbeiter schieben und behaupten, dass sie den Pflug unachtsam abgestellt haben. In dieser Gegend wird doch häufig nachts gepflügt. Außerdem weißt du nicht, welche engen und freundschaftlichen Verbindungen Colalto zur hiesigen Polizei pflegt.»
    Guerrini stellte seine Kaffeetasse etwas zu heftig auf die Anrichte.
    «Hast du dir den Wagen angesehen? Ich war gerade unten auf dem Parkplatz! Er sieht furchtbar aus!»
    «Es tut mir leid, Angelo.»
    «Als wir den Fall Altlander in Siena untersucht haben, wurde er angeschossen!» Etwas wie Tragik schwang in Guerrinis Stimme.
    «Ich auch.»
    «Aber du wurdest genäht, und der Kratzer ist von selbst geheilt! Die Reparatur von dem Lancia hat zweitausendachthundert Euro gekostet, und der Staat hat nur die Hälfte davon übernommen, weil es mein Privatwagen ist. Vielleicht sollte ich in Zukunft einen Dienstwagen fahren, wenn ich mit dir unterwegs bin, Laura!»
    «Männer und Autos!», murmelte sie.
    «Was?»
    «Nichts. Ich finde, wir machen jetzt den Strandspaziergang, den du vorgeschlagen hast. Du besuchst die Schweizer und ich Ruben. Danach fahren wir sofort weg. Irgendwie habe ich das Gefühl, es ist sicherer, wenn wir heute nicht in unserem Haus bleiben.»
    «D’accordo!» Er griff nach einer Banane. «Ich frühstücke unterwegs.»
    Nachdem sie das Haus besonders sorgfältig abgeschlossen hatten, liefen sie zum Strand. Es war ein klarer, kühler Morgen. Die Farben schienen intensiver als sonst, Meer und Himmel blauer, die Schirmpinien grüner, der Strand ockerfarbener.
    «Im Sommer gibt es hier manchmal Seenadeln. Sie sehen aus wie Schlangen mit den Köpfen von Seepferdchen. Als Junge habe ich sie mit bloßen Händen gefangen, in einen Eimer mit Meerwasser gesteckt und zugesehen, wie sie herumschwammen. Erstaunliche Tiere. Eher Fabelwesen.»
    «Vielleicht hättest du Meeresforscher werden sollen. Jetzt muss ich es ausbaden, weil dir im entscheidenden Moment nur dein Traumberuf eingefallen ist.»
    Guerrini blieb stehen und hob eine große, gerippte Muschel auf. «Vielleicht. Aber da war auch immer etwas ganz anderes. Ich war ungefähr so alt wie dein Sohn Luca, als unser damaliger Ministerpräsident Aldo Moro von den Roten Brigaden entführt wurde. Ich war wie besessen von der Idee, ihn zu finden und zu retten. Und ich war sicher, dass er nicht in Rom gefangen gehalten wurde, sondern hier, in Il Bosco . Deshalb bat ich meine Eltern, für ein paar Tage herzufahren. Das war Anfang Mai 1978. Damals bin ich hier herumgeschlichen wie ein Zivilfahnder. Jedenfalls bildete ich mir ein, einer zu sein. Wahrscheinlich hatte ich verdammtes Glück, dass niemand die Polizei rief, wenn ich in Privatgrundstücke

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