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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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eindrang, die Bewohner der Villen beobachtete und verdächtige Autos mit dem Fahrrad verfolgte.» Er betrachtete nachdenklich die Muschel in seiner Hand, warf sie dann in die Brandung und lächelte Laura zu.
    «Es gab da eine spezielle Villa, direkt am Strand. Ein hässliches Betonmonster, grau, mit unterirdischer Garage. Das Boot konnte man in einer Art Unterführung direkt unter dem Haus abstellen. Hab ich gesagt: das Boot? Die hatten mindestens drei Boote, besser gesagt Yachten. Wahrscheinlich gehörte dieses Horrorhaus einem Mafiaboss und hatte überhaupt nichts mit den Roten Brigaden zu tun. Schließlich waren die nicht so reich. Aber ich bildete mir damals ein, dass genau in diesem Haus Aldo Moro gefangen gehalten wurde. Im Keller. Wahrscheinlich hatte man ihn per Boot hergebracht. Nachts natürlich!»
    «Und was passierte?»
    «Ich versuchte, in dieses Ding reinzukommen, aber es war wie eine Festung. Ich schaffte es einfach nicht. Dann fuhren wir nach Siena zurück, und ich war völlig verzweifelt.»
    «Und dann?»
    «Am 9. Mai meldete das Radio, dass Aldo Moro tot in einem kleinen Fiat in Rom gefunden wurde. Genickschuss. Es war ein Schock für mich! Wir waren längst zurück in Siena, denn ich musste ja zur Schule. Trotzdem hatte ich das Gefühl, versagt zu haben, weil ich ihn nicht rechtzeitig hatte finden können. Und irgendwie hab ich es manchmal noch heute. Dabei wurde er sicher nicht hier im Resort versteckt. Die Heldentaten, nach denen man sich in seiner Jugend gesehnt hat, sind hartnäckig.» Er fischte seine Muschel wieder aus der Brandung.
    «Diese Geschichte habe ich bisher für mich behalten, Laura. Geh gut damit um.»
    Sie strich mit der Hand über seinen Rücken.
    «Und du? Hast auch du geheime Heldentaten vollbracht?» Wieder warf er die Muschel von sich, diesmal sehr weit hinaus.
    «Von den vielen Indios, die ich gemeinsam mit Che Guevara befreit habe, weißt du schon. Da war noch viel mehr, aber das wird zu viel an diesem schönen Morgen. Interessanter finde ich, dass wir mitten in deinen Jugendträumen angekommen sind.»
    «Meinst du wirklich?»
    «Ja, das meine ich wirklich.»
     
    Vor dem Haus der Schweizer trennten sie sich, und Laura ging allein weiter. Sebastian Ruben fuhr einen schwarzen Porsche mit Münchner Kennzeichen. Der Wagen stand in der Einfahrt zu Rubens Villa, als wollte sein Besitzer gleich wegfahren. Das Fenster auf der Fahrerseite war offen, und Laura warf einen Blick ins Innere. Italienische Zeitungen und Kunstmagazine lagen auf dem Beifahrersitz. Von Ruben selbst war nichts zu sehen. Laura klopfte an der Tür, lauschte, umrundete dann das weitläufige Gebäude und schaute neugierig durch die Fenster. Auch dieses Haus war offensichtlich von Designern eingerichtet worden. Diesmal waren die Sitzlandschaften weiß und blau. An den Wänden hingen riesige Antilopenhörner, gewunden wie Korkenzieher. Außerdem entdeckte Laura den präparierten Schädel eines Maremmastiers und abstrakte Gemälde von enormen Ausmaßen. Ihr grauste ein bisschen vor dieser kalten Demonstration von Reichtum.
    Sie entdeckte Sebastian Ruben auf einer kleinen Terrasse auf dem Dach der Villa. Er telefonierte, ging dabei ruhelos hin und her. Als sie ihm zuwinkte, winkte er zurück und bedeutete ihr heraufzukommen, rief herab, dass sie durchs Haus gehen solle.
    Vorsichtig drückte sie die Terrassentür auf. Diese Wohnräume waren viel zu groß, strahlten eine seltsame Kälte und Leere aus. Sie versuchte sich vorzustellen, allein in diesem Saal zu sitzen, allein hier Urlaub zu machen. Sie versuchte sich vorzustellen, wer dieses Haus gebaut und eingerichtet hatte. Es ging nicht. Es mussten sehr spezielle Menschen sein. Perfekte Menschen mit perfekten Kleidern, perfekt geschminkt, mit perfekten Körpern und kalten Gesichtern.
    Lauras nackte Füße hinterließen feine Sandspuren auf den dunklen Bodenfliesen. Als Sebastian Rubens Beine am Ende einer Treppe erschienen, blieb Laura stehen. Die Treppe war an Stahlseilen aufgehängt und schien zu schweben. Ruben kam ihr nur ein paar Stufen entgegen, bückte sich dann und winkte wieder. Er war noch immer am Telefon.
    Langsam durchquerte Laura den Raum und folgte Ruben nach oben. Noch wusste sie nicht, was sie eigentlich mit ihm reden sollte. Aber das wusste sie nur selten bei Ermittlungen. Es kam meist von selbst. Sie ermittelte ja nicht eigentlich, war nur Teil dieser Wiederholung eines Jugendtraums, den Guerrini für sie beide zu inszenieren schien. Trotzdem war

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