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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Ha!»
    Plötzlich erklang scharfes metallisches Klopfen, und wieder wurde es still. Rechts von Guerrini lehnte ein schlanker Mann im dunklen Anzug und schlug mit einem dicken Siegelring gegen den Tresen. Er war höchstens vierzig, irgendwie unauffällig, mit einem Gesicht, das man sich nicht merken konnte, weil viele solche Gesichter hatten.
    «Nun beruhigt euch mal», sagte er freundlich. «Es geht ja hier zu wie bei den Waschweibern oder wie im Schweinestall. Nicolina hat ganz recht. Ihr wisst außerdem genau, dass Tibero geerbt hat. Irgendeine Tante hat ihm ein Vermögen hinterlassen. So einfach ist das! Zur See fährt er trotzdem, weil es ihm Spaß macht und weil er außerdem die Subventionen vom Staat kassieren kann. Er ist schließlich nicht blöd!» Aus schmalen Augen blickte er in die Runde. «Noch was, Freunde?»
    Alle schienen die Köpfe einzuziehen, drehten sich zu den Spielautomaten um und bewegten sich weg von der Bar. Der Mann im dunklen Anzug aber wandte sich lächelnd an Guerrini und Laura. «Ich nehme an, dass damit auch eure Fragen beantwortet sind.»
    «Nein», erwiderte Laura. «Aber ich wollte auch gar nicht wissen, ob er einen BMW fährt oder woher er sein Geld hat. Ich wollte mit ihm aufs Meer.»
    Der Unbekannte sah ihr mit einem Gesichtsausdruck in die Augen, der Laura an George Clooney erinnerte. Der schlanke Mann musste lange dafür geübt haben.
    «Das müssen Sie ihn schon selbst fragen, Signora. Vielleicht macht er bei Ihnen eine Ausnahme.»
    Als Laura ihren Blick von dem Ersatz-Clooney löste, sah sie, wie Luciano dem Ausgang zustrebte. Sie winkte ihm zu, doch er drehte sich nicht mehr um.
    Auch der kleine Alte hatte sich zwischen die anderen Männer verzogen und vermied erkennbar den Blickkontakt mit Laura.
    «Lass uns gehen!» Guerrini schob ein paar Euro zu Nicolina hinüber.
    «Zu laut, was?» Sie lächelte nicht.
    «Das auch», erwiderte er. «Ciao!»
    Laura folgte ihm zur Tür, doch ehe sie die Bar verließ, schaute sie zum Tresen zurück. Der schlanke Mann stand noch immer dort und sah ihnen nach. Inzwischen hatte er jede Ähnlichkeit mit George Clooney verloren. 

 
    «SO STELL ICH MIR eine Mafia-Kneipe in Palermo oder in Neapel vor.» Laura holte tief Luft.
    «Das war die harmlose Variante. Vielleicht sollten wir mal zusammen hinfahren, damit du die Originalausgabe bewundern kannst. Ich glaube inzwischen, dass die deutsche Polizei keine Vorstellung davon hat, was Mafia bedeutet.»
    «Ah, das hast du wahrscheinlich in der Zeitung gelesen, weil deine Kollegen von der Antimafia das in jedem Interview verbreiten.»
    «Aber sie haben recht!»
    «Was also bedeutet Mafia?»
    «Es ist ein totalitäres System, in dem alle funktionieren müssen. Es basiert auf falsch verstandener Solidarität, Einschüchterung, Angst, Gefälligkeiten, Gier, Bestechung, archaischen Familienbanden und einem pseudosozialen Versorgungsangebot. Ich könnte dir noch mindestens zehn andere Faktoren nennen, zum Beispiel: Machthunger, mangelnde Tötungshemmung, seelische Verwahrlosung. Es ist ein Wahnsystem, an das alle glauben. Ich gehe sogar noch weiter: Ich halte es für eine Urform des Faschismus! Die sind sogar der festen Überzeugung, dass Gott und die Kirche auf ihrer Seite stehen. Das gilt von der Uroma bis zur Oma, zu den Ehefrauen, Geschwistern, Kindern, Cousinen und Cousins, Freunden, Geschäftspartnern. Deshalb ist es so gefährlich!»
    Guerrini ging so schnell, während er dies sagte, dass Laura Mühe hatte, ihm zu folgen. Erst als sie den Lancia erreichten, hielt er inne und schlug mit der flachen Hand auf das Dach.
    «Diesen Vortrag solltest du vor den Münchner Kollegen halten», keuchte sie.
    «Glaubst du, dass die begreifen würden, worüber ich rede? Das begreifen ja nicht mal die Leute in diesem Land. Einfach, weil es unbegreiflich ist.»
    «Machtergreifung der Unterprivilegierten?»
    «Ach Mist! Da gibt es nichts zu beschönigen!»
    «Ich beschönige ja gar nichts. Aber große Armut geht fast immer mit hoher Kriminalität einher – die Reichen betrügen eleganter.»
    «Im Allgemeinen ist die Mafia inzwischen auch nicht mehr unelegant. Geld wird nicht in Blut gewaschen, es wird investiert! Außerdem hat es schon lange nichts mehr mit Armut und Unterprivilegierten zu tun. Die Mafia, das ist eine neue Klasse von Reichen, die mit allen Mitteln ihren Besitzstand und ihre Macht verteidigt! Ich möchte übrigens diesen Luciano nicht aus den Augen verlieren. Vielleicht kann er uns noch ein bisschen

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