Die Stunde der Zikaden
ihre Hüften und musterte Guerrini prüfend. «Bist du’n Bulle oder was?»
«Quatsch, seh ich so aus? Ich hab ihn nur zufällig kennengelernt, weil wir in Il Bosco ein Haus gemietet haben. Scheint ein netter Kerl zu sein.»
Sie war mit seiner Antwort offensichtlich nicht zufrieden, blätterte zerstreut und ohne hinzusehen in der Zeitschrift. «Er kommt nicht mehr oft. Früher, als er noch für Tibero gearbeitet hat, war er dauernd hier. Mit Tibero.»
«Eh, Nicolina! Zwei Caffè und einen Ramazotti!» Ein alter Mann, dem beide Schneidezähne fehlten, wedelte mit den Händen.
«Jaja, ich komm ja schon!» Die junge Frau zuckte die Achseln und klopfte den Filter der Kaffeemaschine aus.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen, die Alten vom Hafen drängten herein und wurden von den Anwesenden mit lauten Rufen begrüßt. Für einige Zeit stieg der Lärmpegel so gewaltig, dass Laura sich beide Ohren zuhielt.
«Jetzt hören Sie, was ich meine!», brüllte Nicolina.
Inzwischen hatte der hagere Alte, den Laura vom Hafen kannte, sie entdeckt und arbeitete sich durch seine Bekannten zu ihr vor.
«Luciano! Luciano Tremonti!», stellte er sich vor. «Es liegt an diesen bescheuerten hohen Decken, dass man sich hier nicht vernünftig unterhalten kann. Wir sind verrückt, dass wir uns immer noch hier treffen. Das ist die Macht der Gewohnheit, Signora. So sind wir Menschen. Wir werden immer hierher kommen, auch wenn wir alle unser Gehör verlieren.»
«Laura Montedio. Sie können mich Laura nennen. Das ist einfacher.»
Er berührte sie leicht an der Schulter und lächelte. «Luciano!»
«Laura!»
«Bella Laura.» Er zwinkerte ihr zu, sah schuldbewusst zu Guerrini hinüber und bestellte bei Nicolina einen Brandy.
«Was wollt ihr denn von Tibero? Wir haben euch drüben bei der Medusa gesehen.»
«Nichts Bestimmtes. Wir haben uns mit ihm über Fischfang unterhalten. Ich bin nämlich Meeresbiologin.»
Jetzt hatten auch die anderen Alten die Bar erreicht.
«Endlich mal andere Gesichter!», rief einer.
«Endlich mal eine Frau!»
«Hehe!», brüllte Nicolina.
«Eh Luciano, du bist natürlich wieder ganz vorn dran, wenn es um Frauen geht. Passen Sie auf, Signora, er war früher mal der Herzensbrecher von Portotrusco!» Gelächter schlug über Laura und Guerrini zusammen wie eine Flutwelle und schien von allen Seiten widerzuhallen. Nicolina trommelte mit beiden Fäusten auf die Theke und schrie: «Silenzio! Wisst ihr, wie ihr seid? Wie Schweine, wenn’s was zu fressen gibt. Die kreischen auch so laut, dass man nichts mehr versteht. So seid ihr! Wie hungrige Schweine!»
Erstaunlicherweise wurde es tatsächlich beinahe still. Luciano schlürfte einen Schluck Brandy, die andern bestellten gesittet bei Nicolina.
«Ein gutaussehender Mann, dieser Tibero, nicht wahr?» Luciano zwinkerte wieder.
Nur zu, dachte Laura. Dann gehen wir die Geschichte eben von dieser Seite an.
«Ja, sehr gut aussehend. Glauben Sie, Luciano, dass er auch Gäste auf der Medusa mitnimmt? Ich würde gern sehen, was er so alles fängt in seinen Netzen.»
Luciano lachte verschmitzt. «Dich würde er wahrscheinlich mitnehmen, bella Laura. Bei deinem Freund wäre ich mir da nicht so sicher. Nein, im Ernst: Er hat noch nie Touristen mitgenommen.»
«Schade. Er muss ein leidenschaftlicher Fischer sein, wenn er immer noch rausfährt. Der Fang lohnt sich doch kaum noch. Das haben Sie selbst vor ein paar Tagen gesagt, Luciano. Ich hab es gehört, und Tibero wurde richtig böse.»
«Der wird leicht böse.»
Ein zweiter Alter mischte sich ein, ein kleiner mit lustigen hellen Augen und einem grauen Haarschopf, der ihm tief ins Gesicht fiel. «Das kannst du laut sagen, dass der böse wird! Und noch eins: Der lebt gar nicht vom Fischfang. Alles Tarnung! Das sag ich schon lange. Von den paar Fischen kann man sich doch keinen nagelneuen BMW leisten und so ein Motorrad!»
Laura tauschte einen Blick mit Guerrini, der ihr bedeutete weiterzumachen.
«Passt sicher gut zu ihm, der BMW», sagte sie und schlug die Beine übereinander. «Schöner Mann, schönes Auto.»
«Gibt schönere!», brummte der kleine Alte.
«Pass auf, was du sagst!» Luciano klopfte dem Alten auf die Schulter. «Tibero kann sehr böse werden, wenn man schlecht über ihn spricht.»
«Ah, das ist mir doch egal! Ich hab gehört, dass er sich sogar eine Eigentumswohnung gekauft hat. In den neuen Häusern oberhalb der Altstadt. Mit Dachterrasse. Der muss goldene Fische gefangen haben!
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