Die Stunde des Adlers (Thriller)
doch, es trifft die Wirtschaft direkt. Das ist ein wesentlicher Aspekt für die Neubewertung von Vermögenspositionen.« Die anwesenden je vier Zuarbeiter und auch Hutter lehnten sich leicht zurück, denn das war die Frage aller Fragen.
»Das ist eine politische Frage.«
»Wenn Sie Schulden ausradieren? Wenn Sie Bilanzen verkürzen? Oder Renten reduzieren? Spargelder vernichten? Aktien beschneiden? Anleihen beschneiden? Das glauben Sie doch selbst nicht!« Mit jedem Punkt seiner Aufzählung wurde von Hartenstein etwas lauter.
»Den Preis der D-Mark werden wir hier nicht besprechen. Wir reden über die Voraussetzungen, Herr von Hartenstein.« Sie betonte das »Herr« extra deutlich.
»Sie werden Ihre Wähler wohl hintergehen müssen, wenn Sie einen Schnitt machen wollen. Meines Wissens haben Sie ihnen das nicht gesagt. Die Messlatte liegt bei 1,95583, dem alten D-Mark-Euro-Tauschkurs.«
»Sie, von Hartenstein, kennen unsere Wähler«, Kuhn wurde noch lauter, »genauso wenig wie unser Volk. Das ist gerne bereit, eine ›Deutschland-Prämie‹ für die Rückkehr zur absoluten Souveränität zu zahlen.«
»So soll das ökonomische Kind politisch also heißen, Frau Kuhn. Eine Deutschland-Prämie gibt es also. Wie gestern: Damit werden Sie auf Dauer nicht durchkommen. Lassen Sie ab von der ganzen Idee.«
»Wie gestern und heute: Ich verbitte mir von Ihnen politische Einmischungen.« Kuhn stand auf, beide Hände auf den Tisch gestützt.
»Bitte, Frau Staatssekretärin, aber wir sind auch fertig für heute.« Langsam schloss von Hartenstein seine Mappe, nickte in die Runde und schaute auf die eingeschüchterte Gruppe der Kuhn-Pudel. »Morgen tagen die Teams. Ich muss morgen Geldpolitik machen, und zwar europäische.«
23.00 Uhr
Das wirklich Bequeme an europäischer Geldpolitik war für einen Bundesbanker, dass alles in Frankfurt stattfand, zumindest das Offensichtliche. Weil man den Deutschen die Aufgabe der Bundesbank auch irgendwie symbolisch hatte schmackhaft machen müssen, hatte der geschickte François Mitterand seinem politischen Partner Helmut Kohl zugestanden, dass die Europäische Zentralbank, auf deren beeindruckenden Tower Hanns-Hermann von Hartenstein aus dem »Da Fredo« schauen konnte, nach Frankfurt gesetzt wurde. Sinnigerweise war der Turm gerade im Bau gewesen, als die große Krise mit der Griechen-Pleite begonnen hatte. Damals hatten manche geunkt, dass die EZB wohl dann aus ihrem Übergangsgebäude in der Innenstadt an den Rand an der alten Großmarkthalle ziehen könnte, wenn der Euro tot wäre. So weit war es nicht gekommen. Immer wieder hatten europäische Spitzenpolitiker eine Lösung in letzter Sekunde gefunden. Zumindest bis jetzt.
» Il conto, per favore, Alfredo .«
»Komme gleich, Don Hanns.«
Normalerweise ging von Hartenstein am Vorabend der EZB-Ratssitzungen immer mit europäischen Kollegen zum Essen, aber in dieser Situation wollte er lieber keinen langen Abend mit anderen Zentralbankern verbringen. Während von Hartenstein mit seinem Lieblingsitaliener immer Italienisch sprach, antwortete Alfredo grundsätzlich auf Deutsch. »Wir sind hier nicht in Italien«, hatte Alfredo ihm das vor Jahren bereits einmal erklärt. »Ich bin ein Restaurantbesitzer unter deutscher Gaststättenverordnung, Hanns, der zufälligerweise italienische Speisen anbietet und aus Italien stammt.«
Aber da von Hartenstein, allein schon wegen seiner italienischen Gattin so gerne Italienisch sprach, machten beide munter weiter, in guter deutsch-italienischer Freundschaft. Die wurde nur strapaziert, wenn die beiden Länder gegeneinander Fußball spielten. Das war für Don Hanns und Alfredo ungefähr so, als würde in München einer Anhänger der roten Bayern und einer der blauen Löwen sein. Nach dem Spiel war dann wieder alles vorbei. Mit seinem italienischen Familienteil war das momentan ein bisschen anders, aber da konnte ihm Alfredo auch nicht helfen.
Hanns-Hermann hatte sich seinen Italiener für ein Experiment ausgesucht, hatte extra das Abendessen so gelegt, dass er spät kam und zum Ende kaum mehr jemand im Raum war. Nur hinten in der Ecke an einem kleinen Beistelltisch saß noch ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet. Der ging und ging aber nicht. Den Tisch besetzte Alfredo eigentlich nur, wenn alles voll war, aber der Typ wollte wohl abseits sitzen und lesen.
Bewusst hatte von Hartenstein so gegessen und getrunken, dass er für sich allein auf eine Rechnung von 40 Euro kam. Den Grappa nicht
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