Die Stunde des Adlers (Thriller)
nicht noch Wochen mit verzögernder Verhandlungsroutine auf Armlänge halten ließ. Er spürte, dass da bald etwas auf ihn zukommen würde, während sich die zäh in die Länge ziehende Ratssitzung so langsam dem Ende näherte, ohne dass auch nur ein Wort über die markige Bundesregierung gefallen wäre. Man war bereits beim Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« angelangt.
»Ich möchte nun alle Anwesenden, die nicht Mitglieder des Rates sind, bitten, den Saal zu verlassen.« Dohm blickte sich kurz zu seinem Mann um, als der EZB-Präsident diese Ankündigung machte, was normalerweise nur bei Personalien hin und wieder vorkam. Und solche gab es nach Wissen von Hartensteins heute nicht.
»Worum soll es gehen?« Dohm, dessen Stimme als Bundesbankpräsident großes Gewicht hatte, fragte unaufgefordert in Richtung EZB-Präsident, der links von seinem Vize und rechts vom dienstältesten Notenbankchef flankiert wurde. Auch so eine protokollarische Feinheit, auf die man hier achtete.
»Um Deutschland, Kollege Dohm.«
»Dann bitte ich darum, dass mein Mann anwesend bleiben kann, Herr Präsident.« Für einen Moment tuschelten die Direktoriumsmitglieder miteinander.
»Okay, Herr Dohm. Herr von Hartenstein kann bleiben.« Während Dohm ihm zunickte, erntete der deutsche Währungsmanager die missfälligen Blicke aller anderen Sherpas, die sich an den Öffnungen des zweiten Tischkreises bereits auf den Weg aus dem Saal machten. Kurze Zeit später saßen, nach Griechenlands Austritt, 22 Damen und Herren des Rats der Europäischen Zentralbank im inneren Kreis und von Hartenstein als einzig Verbliebener in der zweiten Reihe, nachdem der Saaldiener die Türe mit einem festen Rums zugezogen hatte.
»Herr Bundesbankpräsident«, hob EZB-Präsident Ernesto Gonzales seine Stimme leicht an, »es gibt Gerüchte um die Wiedereinführung der D-Mark.« Genau in diesem Moment begann eine Wolke den 185 Meter hohen Turm zu umhüllen. Die strahlende Tagessonne war jedenfalls verschwunden, und da die auf die Stärke des Tageslichts abgestellte Lichtanlage eine Sekunde verzögert zu leuchten begann, machte Gonzales seine fragende Feststellung in schummriges Licht hinein.
21 Augenpaare aus dem ersten Kreisrund schauten auf Dohm; von Hartenstein war in diesem Moment doch froh, nicht in der ersten Reihe sitzen zu müssen. Das Licht ging jetzt automatisch an, und Dohm nahm Haltung an wie ein Schauspieler, der ins Rampenlicht trat.
»Nun, Herr Präsident, das bleibt nicht aus, wenn mein Land eine Regierung bekommen hat, die von einer Partei dominiert wird, die Deutsche Mark Partei heißt.«
»Einzelne Präsidentenkollegen von Zentralbanken in Euroländern sind von ihren Sicherheitsdiensten informiert worden.«
»Über was, Herr Präsident?«
»Dass es eine steigende Wahrscheinlichkeit für den Ausstieg Deutschlands aus dem Euro gibt.« Dohm konnte erkennen, dass dieses Gespräch Ernesto Gonzales unangenehm war. Stocksteif saß er da, den Kopf zwischen die Schultern eingezogen, während die anderen Zentralbankpräsidenten dem Ganzen wie Geschworene eines Verhörs folgten.
»Wir haben seit dem Mai 2010 eine Wahrscheinlichkeit von Ausstiegsszenarien, die größer als null ist – wofür Deutschland aber nicht verantwortlich ist, Herr Präsident.« Anders als der EZB-Präsident blieb der deutsche Bundesbankpräsident ruhig. »Wir tun seit dieser Zeit alles, um den richtigen Weg zu gehen, aber nicht alle wollen diesen Weg mitgehen. Sie wissen doch, Herr Präsident, was Goethe auf seiner Reise nach Italien gesagt haben soll: ›Der Weg ist das Ziel.‹«
»Das ist nicht belegt, Her Kollege.« Der italienische Notenbankpräsident Carlo Sergio Conti wollte diese Spitze seines deutschen Kollegen nicht auf sich sitzen lassen, denn Italien war eines der Problemländer des Euro. »Das war Konfuzius.«
»Meine Herren!« Präsident Gonzales ging verärgert dazwischen, um dann sachlich fortzufahren: »Wir können uns von den Deutschen doch nicht unsere Haushaltspolitik vorschreiben lassen.« Gonzales, ursprünglich aus einem der europäischen Südländer, schaute etwas entrüstet drein, auch wenn diese Art von Diskussion im EZB-Rat nicht zum ersten Mal geführt wurde.
»Nein, das will auch niemand in Deutschland, zumindest bis zu dieser letzten Wahl. Aber die Euroländer müssen sich ihre Haushaltspolitik von Europa diktieren lassen, mit einem gehörigen deutschen Anteil. Wenn wir eine gemeinsame Währung wollen.«
»Das weiß ich, das wissen wir alle,
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