Die Stunde des Adlers (Thriller)
wiederholte Finanzstaatssekretärin Anna-Maria Kuhn und warf Dr. Anton Albers ein Foto über den Tisch zu, »Sie alter Kinderficker.« Während Albers fassungslos auf das unappetitliche Foto starrte, stand Kuhn auf und kam um den Tisch herum zu ihrem Topbanker. »Ein kleines bisschen Suppe am Mittag reicht mir, aber sagen Sie der Küche, ein bisschen mehr Salz wäre gut.«
18.00 Uhr
Diplomatie war nur im Fernsehen die große weite Welt im Weißen Haus, Kreml, in Downing Street oder dem Auswärtigen Amt am Werderschen Markt in Berlin. Statt große Politik verstanden sich beide Beamte auf das Kleingedruckte: Bevor Gerhard Meier Staatsminister im Auswärtigen Amt geworden war, hatte er jahrelang in Brüssel Texte und Vorlagen geschrieben. Und Dr. Eva-Maria Christ war in der EZB für die Abmachungen mit den Finanzministerien der Mitgliedsländer zuständig gewesen.
Seit Mittag saßen die beiden nun in der Arbeitsgruppe »Europäisches Währungssystem« zusammen, Laien hätten in fünf Minuten geklärt, dass man eine Gemeinschaftswährung wie den Euro auch nur gemeinschaftlich aufgeben konnte – einstimmig oder zumindest mit Mehrheit. Man wusste ja, dass man die Währungsunion eigentlich gar nicht verlassen konnte. Bei Griechenland hatte man das schon durchgespielt.
Doch wenn zwei solche Spitzenbeamte ins Detail gingen und Hunderte von Zetteln ausbreiteten, dann brauchte so eine einfache Sache viel Zeit. Meier hatte Frau Dr. Christ erst umgarnt, ihr Wissen gelobt und seine Fragen immer mit »Was meinen Sie?« begonnen. Unmerklich hatte sich Christ auf eine rechtliche Machbarkeitsüberlegung eingelassen, und am Ende hatte sie die geniale Lösung gefunden, was Meier flugs auch so protokollierte: »Frau Dr. Christ empfiehlt, dass Deutschland im System der Europäischen Zentralbanken verbleibt und seine dortige Stellung nicht aufkündigt. Auf Anweisung der Bundesregierung wird die Bundesbank die Deutsche Mark als Parallelwährung zum Euro einführen und ein freiwilliges Umtauschfenster von zwei Wochen öffnen.
Die Bundesbank hat damit ihre eigene Währung und ist innerhalb der EZB weiter mit für den Euro zuständig, der aus Sicht von Frau Dr. Christ jedoch jeden Tag an Bedeutung verlieren wird, insbesondere je höher die Umtauschquote sein wird.«
»Aber schreiben Sie dazu, Herr Meier, dass ich gegen diesen Schritt bin, weil die politischen Folgen unabsehbar wären.«
»Klar, mache ich doch«, antwortete der Staatsminister, der ohne Jackett und mit leicht geöffneter Krawatte seiner Team-Partnerin gegenübersaß, die auch nach Stunden der Sitzung kerzengerade im grauen Kostüm auf der anderen Seite des Tisches saß. So konnte sie auch nicht sehen, dass Meier »Die politischen Folgen müssen bei Einführung der Parallelwährung nach Ansicht von Frau Dr. Christ bedacht werden« schrieb.
»Ich muss mich jetzt aber beeilen, Frau Kollegin.« Meier schnappte seine Jacke und räumte schnell die Papiere zusammen. Kuhn hatte für 18.15 Uhr einen Helikopter der Flugbereitschaft geordert, der ihre Truppe zurück nach Berlin bringen würde. Und da die Team-Protokolle ja aus Geheimhaltungsgründen nicht vermailt werden durften, würde von Hartenstein diese Protokolle erst morgen in der Sitzung in Berlin zu sehen bekommen. Eine kleine Anweisung aus dem Innenministerium hatte es zudem unmöglich gemacht, dass die Bundesbanker morgen vom Bundesgrenzschutz geflogen wurden. Mit eineme Linienflug würden Dohm, von Hartenstein & Co. daher erst kurz vor 16 Uhr im Kanzleramt eintreffen können, wo auf Bitten des Bundeskanzlers die Sitzung stattfinden würde.
Hastig erreichte Meier als Letzter den Helikopter. Je länger sie in der Luft waren, desto fröhlicher wurde Kuhn. Neben Meier hatten alle ihre Leute die Kuhn’sche Vorgabe perfekt erfüllt. Zudem würden ihre Freunde den heutigen Abend nutzen, um den vier Bundesbankern einen Besuch abzustatten.
»Wir brauchen von denen die Machbarkeit, damit ich das Sicherheitskabinett überzeugen kann«, hatte sie ihre Männer am Morgen gebrieft. Alle vier Staatssekretäre berichteten ihr, dass es erstaunlich einfach gewesen war, die Bundesbanker mit ihrer Fachkompetenz zu packen.
Finanzstaatssekretärin Anna-Maria Kuhn würde morgen vortragen können, dass die Wiedereinführung der D-Mark als Parallelwährung rechtlich und wirtschaftlich möglich sei, dass der Zahlungsverkehr jederzeit reibungslos umgestellt werden könne und dass genügend Bargeld in einem Geheimbunker lagere. Morgen früh
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