Die Stunde des Adlers (Thriller)
Zeltlager nicht zu vermitteln. Anna-Maria Kuhn war hier mehrfach mit Franz Peter Roth zusammen im Wahlkampf aufgetreten und hatte leichtes Spiel gehabt. Vor den Wahlen hatte erst sie allein dort an einer Asamblea genannten Versammlung mit diesen witzigen Handzeichen teilgenommen und hatte später Spitzenkandidat Franz Peter Roth ins Lager gelotst – ein Riesenerfolg mit viel Medienberichterstattung war das gewesen, als Roth in der Asamblea mitdiskutiert und seine Handgelenke zustimmend gedreht oder die Arme ablehnend verschränkt hatte. Selbst Linke hatten ihnen begeistert applaudiert, als Roth gesagt hatte, dass er die Macht der Banken brechen wolle. Dass die EZB keine richtige Bank war, ließ sich hier nicht vermitteln.
»Du wirst auch noch umkehren.« Von Hartenstein hatte die junge Frau gar nicht bemerkt, zumal er gerade seine Mails auf seinem iPhone checkte.
»Wie bitte?« Für einen Augenblick dachte er, Hutter stünde vor ihm. Groß, schlank und schwarze Locken hatte die Frau. Bei genauerem Hinsehen hatte sie allerdings auch kleine, feste und, wie von Hartenstein zugeben musste, schöne Brüste, war zarter als Hutter und hatte ein nettes, verschmitzt lächelndes Gesicht.
»So wie du aussiehst, bist du auch ein Banker, der unsere Welt verkauft.«
»Nein, ist aber auch egal.« Von Hartenstein blickte auf den Turm von Sperrmüll, den die Occupisten angesammelt hatten. Alle paar Monate mussten sie auf Druck der Stadtverwaltung richtig aufräumen, sonst würde der Platz geräumt. Aber sonst ließ man sie gewähren. Das Camp war wie ein Überdruckventil und hier zudem viel besser, viel abseitiger aufgebaut als früher mitten in der Stadt, in der Nähe der Banken vor der alten EZB am Rande in der Gallusanlage. »Das da«, und dabei zeigte von Hartenstein auf das imposante Gebäude, »ist eine Notenbank, keine Geschäftsbank. Und ich bin auch Notenbanker.«
»Wenn du kein Verkäufer bist, dann könntest du ja etwas spenden. Wir müssen uns neu einrichten und so.« Natürlich hasste es von Hartenstein, wenn er so einfach geduzt wurde, aber so konnte er sich auch leichter verbrüdern.
»Nehmt ihr D-Mark?« Von Hartenstein schien die Gelegenheit sehr günstig, sein kleines Experiment von gestern zu wiederholen.
»Hhm, was kann ich denn damit anfangen?« Die neugierigen Augen der jungen Protestlerin blickten von Hartenstein fragend, aber auch interessiert an.
»Ist genauso gut wie Euro.« Die junge Frau trug diese elegant-lässige Protestkleidung, aus einfachen Verhältnissen kam die sicher nicht, dachte von Hartenstein, als der seinen Demo-Hunderter zückte.
»Was wissen Sie von Währungen?«
»Eigentlich nicht viel.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Geben Sie mir eine halbe Stunde.«
»Was habe ich davon?«
»500 D-Mark. Sind rund 250 Euro.« Von Hartenstein zückte noch vier Hunderter aus seiner Geldbörse.
»Du willst mich kaufen?« Miss Occupy rückte ein Stück von dem aus ihrer Sicht ziemlich alten Mann ab.
»Ja!«
»Na, dann wäre ja wenigstens das geklärt. Der Preis ist es wert, vielleicht …«
Sie zog von Hartenstein in das Occupy-Dorf, bis sie weiter hinten im Lager vor einem Zelt standen. Dass der Mann von gestern Abend ihnen dabei folgte, bemerkte von Hartenstein nicht, vielleicht auch, weil er sich interessiert das bunte Treiben im Camp anschaute.
13.00 Uhr
Deutlich feiner hatte es Anna-Maria Kuhn an diesem Mittag. Sie wartete in einer der eleganten Vorstandscasinobereiche in der Innenstadt auf ihren Gastgeber. Dort hatte sie in den letzten Monaten und Jahren genauso ihre Fans gesammelt, wie sie das im Camp gemacht hatte. Wie ein Chamäleon konnte Kuhn sich an ihr Umfeld anpassen und ihr Geschöpf vorbereiten, das heute Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war.
Gerade im kleinen Kreis hatten ihnen mehr Banker ihre Zustimmung angedeutet, als sie es zunächst gehofft hatte. Banker waren von Natur aus vorsichtig und kamen erst so richtig aus der Deckung, seit die DMP die Wahlen gewonnen hatte; man wollte sich offenbar schnell mit den neuen Machthabern arrangieren. Von den Opportunisten bis zu den Occupisten hatte Kuhn die markige Bewegung breit in der Bevölkerung abgestützt.
Von Hartenstein konnte sie hinhalten, wie er wollte, sie wusste, dass ihre Zeit gekommen war. Weil heute die Teams tagten, hatte sie sich nach dem Frühstück mit Hutter, dem Morgen-Briefing mit ihren Leuten und dem langen Telefonat mit dem Bundeskanzler zum Mittagessen mit einem der Topbanker
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