Die Stunde des Adlers (Thriller)
dagesessen und seine Hände gerieben. So hatte er als Kind immer seine Probleme geknetet, mit den Händen.
»Ärger an allen Fronten, Jungs. Unsere italienische Familie ist sauer auf mich, unsere deutsche Finanzstaatssekretärin macht mir die Hölle heiß und unsere europäische Heimat scheint auseinanderzufliegen. Die sind alle verrückt in Berlin.«
Derweil hatte E. T. die Kuh mit einer Schlinge eingefangen und schon halb aus dem Wasser gezogen. Hanns-Hermanns Gedanken sprangen beim Anblick der Rehaugen wieder zur schwarzen Pest. Eine dumme Kuh war die Kuhn allemal, unbelehrbar, gefährlich, wie diese Kuh, die plötzlich auf ihn und seine Brüder losgerannt war, so als wollte sie sie umbringen oder zumindest mit in den Tod reißen. So etwas hatte er noch nie erlebt, weder das mit der Kuh noch das mit der Kuhn.
Von Hartenstein merkte, dass seine mentalen Kräfte nachließen, weil ihm die Sache nicht mehr aus dem Kopf ging. Es waren nicht nur die Verhandlungen der letzten Woche, sondern die Kämpfe seit Monaten, die ihm psychisch zusetzten, aber auch physisch. Um allerdings von der Operation D-Day erst gar nichts erzählen zu müssen, berichtete der mittlere von Hartenstein lieber vom Streit mit seiner italienischen Familie, während er das Reh aufbrach.
Nach einer halben Stunde machten sich die drei Brüder auf den Rückweg. Die Kuh hing mit dem Kopf nach unten aufgebunden an einem langen Holzstamm, der auf den Schultern der beiden Brüder ruhte, während Hanns-Hermann als Schütze neben seiner Beute lief und immer mal wieder einen Blick auf den Kopf wagte. Es würde ihm gar nichts ausmachen, die Kuhn so hängen zu sehen wie die Kuh hier.
Eine Stunde später saßen die drei Brüder gemeinsam beim Frühstück, alle frisch geduscht, das Blut aus Gesicht und Haaren gewaschen, jeder in seinen Teil der Zeitung vertieft. Hanns-Hermann las die Politik, Carl Hubertus die Wirtschaft und Eduard Theodor das Feuilleton. Bei duftendem Kaffee und frisch aufgebackenen Brötchen waren die »Verrückten aus Berlin« fast vergessen, auch wenn die Zeitungen voll von Spekulationen über den Euro waren. Hanns-Hermann war des Zeitungslesens inzwischen allerdings einigermaßen überdrüssig geworden, denn je mehr er las, desto öfter schien ihm in den letzten Wochen eine Art gedankliche Gleichschaltung in den Medien zu beobachten zu sein. Kuhn und Jessen schienen ganze Arbeit geleistet zu haben.
»Ich lese hier gerade, dass immer mehr Menschen Land kaufen.« Carl Hubertus hatte schon als Junge die Angewohnheit gehabt, seine Brüder immer an genau den Artikeln teilhaben zu lassen, die er gerade las.
»Ja, dann sitzen wir hier ja richtig, nur dass wir nicht verkaufen«, gab E. T. zum Besten, ohne hinter seinem Kulturteil aufzuschauen.
»Genau das ist es ja, es gibt zu wenig Land.«
»Das ist doch Unsinn, Carl. Als wenn es nicht genug zu essen gäbe.«
Statt dass sein ältester Bruder sich durch diese Bemerkung abwürgen ließ, setzte er noch einmal nach. »Gerade diese Woche waren zwei Investmentbanker bei mir, die mich als Berater dafür gewinnen wollten, Land im großen Stil zu kaufen.«
»Was hast du da gesagt?« Hanns-Hermann war wie elektrisiert, legte die Zeitung beiseite und schaute seinen Bruder an, während er sein iPhone zur Hand nahm.
»Bei mir waren zwei Banker, die suchen Land, für Menschen, die bereit sind, auf Rendite zu verzichten, und sich Land zum Überleben sichern wollen: Essen. Trinken.«
»Du spinnst, das ist ja wie mein Jägerlatein mit der Kuh.«
»Das stimmt doch auch.«
»Erzähl mal.« Hanns-Hermann von Hartenstein schaute seinen Bruder über die Lesebrille hinweg fasziniert an.
»Die waren bei mir und redeten nicht über Renditen von Agraranlagen, sondern über den Wert der Scholle. Das habe ich in einem Vortrag ausgeführt. Das kennt ihr zwei ja. Schaut euch doch nur hier um.«
»Aber das sind doch Selbstverständlichkeiten.«
»Das hatte ich auch gesagt.«
»Und?« Inzwischen hatten alle drei die Zeitungen weggelegt.
»Die wollen, dass ich sie als Agrarwissenschaftler in Fragen von Bodenqualität, Anbaumöglichkeiten, welche Früchte und welches Getreide und so weiter berate. Der eine von den beiden macht strukturierte Finanzierungen und kann alles finanztechnisch basteln, was man so braucht oder auch nicht. Der andere berät vermögende Kunden, denen er vor allem eines geben will: Sicherheit, wenn Geld nichts mehr wert wäre. Hat der gesagt, Hanns.«
»Das ist doch blanker
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