Die Stunde des Adlers (Thriller)
Hände in die Höhe. »Aber …« Dominique machte eine Kunstpause, wie er es sich beim damaligen Studentenschaftspräsidenten abgeguckt hatte, als dessen Finanzchef er in der Uni gedient hatte. Auch da hatte er lieber in der zweiten Reihe gestanden, anders als er es heute tun musste – der »dienstliche Auftrag« seines Chefs hatte ihm daher gar nicht gepasst. Doch Melanie machte ihm Mut, und irgendwie wollte er vor allem sie beeindrucken. Dominique stand nun auf, ging in die Mitte des Versammlungskreises, machte eine volle Drehung und schaute alle Anwesenden einmal an, ehe er bei Sven und der Ökotante stoppte: »… was haben wir dafür bekommen? Oder für die Hilfsgelder in Spanien, Portugal, Irland? Was bekommen wir dafür, dass die EZB«, und dabei zeigte er in Richtung des Eurotowers und alle Köpfe folgten ihm, »faule Staatsanleihen aufgekauft hat?«
»Nichts!« Wieder war es »der Wikinger«, wie Dominique diesen rotbärtigen Sven neben der Ökotante für sich getauft hatte.
»Doch. Stabilität. Stabilität für das Gesamtsystem des Euro, die Europäische Union und Europa. Dass wir für alle Bildung, soziale Sicherung und nachhaltiges Wachstum schaffen und finanzieren können. Und zwar in ganz Europa. Europa ist nicht geholfen, wenn die guten jungen Spanier oder Griechen oder Portugiesen oder Iren, Italiener oder Franzosen hierherkommen. Die werden nämlich auf lange Sicht zu Hause gebraucht.« Dominique machte erneut eine Kunstpause, ehe er fortfuhr: »Stattdessen sollten unsere oberschlauen Jungunternehmer und junge Alte in den Süden gehen und dort für einen Monat oder ein Jahr helfen, Unternehmen und Verwaltung zu modernisieren, damit alle wachsen können.«
»Wir wollen dieses System aber nicht mehr, auch nicht diese Wachstumsphilosophenscheiße. Wir wollen nur leben und arbeiten können.« Die Ökotante pflichtete Sven bei.
»Dazu braucht es aber Wachstum. Was wäre denn die Alternative? Sozialismus, Kommunismus? Das kann es doch nicht sein, oder? Wollt ihr etwa in China leben?«
»Wir wollen nur mehr für Bildung, für Junge und sichere Renten für die Alten.«
»Woher soll das Geld denn kommen? Egal ob Euro oder D-Mark, Freunde. Es sind zunächst einmal Schulden, fertig. Damit müssen wir alle fertig werden, hier und dort, in Deutschland und in Griechenland und in Anderswoland.« Dominique lief jetzt zu echter Form auf.
»Wie meinst du das?« Auf der anderen Seite fragte eine junge Frau nach, die ziemlich genau der Gegensatz der Ökotante neben Sven, dem Wikinger, war. Obwohl auch sie die Handzeichenregeln missachtete, ließ Melanie die Diskussion laufen. Dominique hatte die Führung im Mittelkreis längst übernommen und drehte sich immer wieder, sodass er alle Asambleasten sehen konnte. Weiter hinten standen noch ein paar einzelne Unbeteiligte an die Bäume gelehnt.
»Die Schulden bleiben, egal welche Währung wir nehmen. Die haben wir uns selbst eingebrockt. Wir etwas weniger, die Griechen viel, viel mehr. Und helfen müssten wir denen so oder so.«
»Also!«
»Schulden können wir nur selbst wieder abbauen, außer die neue Politik schneidet etwas ab.« Dominique machte mit den Fingern die Bewegung einer Schere nach. »Das wäre aber Betrug an uns allen. Die Renten der Alten und unser Erspartes …«
»… wenn man etwas gespart hat.«
»Schulden haben wir, weil wir über unsere Verhältnisse leben, auch wir Deutschen. Aber uns geht es besser als den anderen, weil wir das System reformiert haben. Und das müssen wir von allen fordern.«
»Und die Studiengebühren steigen trotzdem.« Sven hob die Hand dabei wie zum Kampf.
»Ich will euch nur sagen, dass wir das System nicht über die Währung ändern können, aber wir können das laufende System stabilisieren. Man kann keinen Motor bei laufender Fahrt auswechseln.« Zum ersten Mal bekam Dominique mittels der kreisenden Hände Zustimmung. »Lassen wir also den Systemwechsel beiseite. Wir haben mit unserem Geld das System stabilisiert. Ihr, wir Jungen müssen Reformen einfordern.«
»Was soll das bringen?« Wieder fragte die junge Frau auf der anderen Seite.
»Wir Deutschen profitieren am meisten vom Euro. Deshalb zahlen wir auch am meisten.«
»Aber warum so viel?«
»Kurze Vergleichszahl.« Dominique hob die Hand. »Deutschland produziert locker seit Jahren einen Handelsbilanzüberschuss von über 100 Milliarden Euro. Mit unseren Exporten, die zu knapp 50 Prozent in die EU gehen. Mit anderen Worten: Wir profitieren.«
»Aber
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