Die Stunde des Adlers (Thriller)
Ich behalte die Kopie. Sie reden mit niemandem darüber. Ist das klar?«
»Was wollen Sie machen?«
»Ist besser, wenn Sie das nicht genau wissen, Dominique.« Von Hartenstein schaute aus dem Fenster in den Abendhimmel über Frankfurt. »Gehen Sie jetzt besser nach Hause und nehmen Sie eine Mütze voll Schlaf.«
21.00 Uhr
Erst hörte von Hartenstein sein iPhone gar nicht, weil er sich noch einmal den Film anschaute – vor allem Hutters Beratungsgespräch bei der Bank. Die hatten ihm doch tatsächlich klarzumachen versucht, dass er seine Euro entweder sofort in Amerikanische Dollar, Schweizer Franken, Norwegische Kronen oder sogar Chinesische Yuan umtauschen und in dortige Standardwerte investieren sollte – »diese Währungen überleben auf jeden Fall, und der Yuan wird die neue aufstrebende Macht«, hörte von Hartenstein einen alerten Banker mit großer Gelassenheit sagen – oder Gold kaufen sollte.
»Am besten eine Mischung und nur wenig Immobilien, die sind nämlich immobil. Was Ihnen da an Sondersteuer draufgepackt wird, müssen Sie zahlen. Es sei denn, Sie haben die Immobilie am besten gleich in der Schweiz oder in Norwegen. Und auch wenn das ein bisschen gegen die Banken ist, aber legen Sie sich ruhig etwas in den Safe zu Hause. Man weiß ja nie«, griente der Banker verschwörerisch, wie das Verkäufer gerne taten, in Hutters versteckte Kamera. Als der Bankberater gerade seinen Antrag herausholen wollte und Dominique sich mit einem »Ich überlege mir das noch einmal« aufstand und den sprachlosen Mann zurückließ, hörte von Hartenstein sein Handy und sah »Hutter« im Display stehen.
»Dominique, ich weiß, Sie haben noch meine 20.000 Euro, oder?«
»Chef, Chef.« Hutter stotterte und weinte zugleich.
»Dominique, Sie haben das Geld doch nicht verloren?«
»Chef, Chef, kommen Sie, kommen Sie, kommen Sie sofort.«
»Was ist denn los, Dominique?« Von Hartenstein, immer noch gebannt von der Operation D-Day. Der Tag, der Deutschlands Untergang besiegelt , kapierte jetzt, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Melanie ist, ist, ist tot.«
»Melanie? Tot? Das Mädchen vom Camp?«
»Ja, ja«, heulte Dominique wie ein Schlosshund, »kommen Sie bitte, bitte, bitte, sofort.« Und dann war er weg, aufgelegt. Wieso ist die bei dem, schoss es von Hartenstein durch den Kopf. Er schnappte sich die DVD, rannte aus seinem Büro in Richtung Aufzug. Als er in der Tiefgarage gerade in sein Auto steigen wollte, schoss ihm plötzlich durch den Kopf, dass er vielleicht beobachtet worden war. Dass alles irgendwie seit Tagen beobachtet worden war. Natürlich konnte er jetzt nicht mehr zurück. Aber er konnte vorsichtiger sein. Deshalb sprang er wieder aus dem Auto. Statt für alle sichtbar aus dem Haupttor herauszufahren, nahm er lieber zu Fuß den versteckten Hinterausgang und schlich sich unbemerkt, wie er hoffte, die kurze Strecke zu Hutters Wohnung im Bundesbankblock von Ginnheim.
D-Day minus 6: Dienstag
9.05 Uhr
»Du siehst müde aus.« Ausgerechnet an diesem Morgen war Claus Victor Dohm zu spät. Der Präsident kam direkt aus Basel, wo die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Bank der Notenbanken, ihren Sitz hatte. Zwar stand von Hartenstein an der Tür, doch zu mehr als dieser kurzen Bemerkung kam es nicht. Woher sollte Dohm auch wissen, was letzte Nacht geschehen war? Wahrscheinlich würde er es auf die Doppelbelastung zurückführen, die von Hartenstein mit der Operation D-Day hatte. Außerdem hatte Dohm den Kopf voll anderer Dinge. In weniger als einer Woche sollte er wieder Herr über die Stabilität der Deutschen Mark sein, ob er das wollte oder nicht.
Bis zum heutigen Tag hatte der Präsident der Deutschen Bundesbank es vermieden, den Vorstand direkt einzuweihen. Nur ganz allgemein hatte er per Vorstandsbeschluss die Abteilungsleiter in eine »Arbeitsgruppe«, wie von Hartenstein es vorformuliert hatte, delegieren lassen. Doch mit der gestrigen Entscheidung in der geheimen Projektgruppe blieb Dohm und von Hartenstein nichts anderes mehr übrig. Dohm brauchte eine Abstimmung im Vorstand, obwohl es faktisch ohne Bedeutung sein würde.
Als Dohm den Raum betrat, saßen die anderen fünf Vorstandsmitglieder bereits an ihren Plätzen, alle angespannt und verkrampft. Sondersitzungen des Vorstandes waren eine höchst seltene Angelegenheit in der Deutschen Bundesbank. Selbst als 1990 Kanzler Kohl mit Finanzminister Waigel und FDP-Chef Graf Lambsdorff der DDR die Einführung der D-Mark angeboten
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