Die Stunde des Adlers (Thriller)
Blick: die Zentrale der Deutschen Bundesbank. »Da Fredos« Hinterzimmer war der einzige Ort, den sich von Hartenstein momentan als sicher für Dominique Hutter vorstellen konnte. Der Wachturm als Trutzburg gegen seine Häscher und Mörder. Und wenn man wusste, wie, dann konnte man den Fernsehturm aus dem angrenzenden Park durch einen Versorgungstunnel eben auch so erreichen, dass es niemand merkte. Zwischen dem Hinterausgang der Bundesbank und dem Versorgungseingang des Turmes lagen nur ein paar Hundert Meter.
Als von Hartenstein in Hutters Wohnung die tote Melanie de Wager gesehen hatte, war ihm blitzartig klar geworden, dass sein Assistent tot sein sollte. Und natürlich bestand die Gefahr, dass sie es noch einmal versuchten, wenn sie wüssten, dass hier »nur« Melanie lag. Eingemummelt in das Laken hatte sie ihm nun einmal zum Verwechseln ähnlich gesehen, und genau das hatte sie mit ihrem Leben bezahlt. Für einen langen Moment war von Hartenstein verzweifelt in sich zusammengesackt, wissend, dass er der eigentlich Schuldige am Tod der unschuldigen jungen Frau war. Er hatte die Idee gehabt und Hutter auf Miss Occupy angesetzt.
Hutter war gar nicht zu beruhigen gewesen. Von Hartenstein musste ihm am Ende sogar ins Gesicht schlagen, damit er endlich leise war und zur Besinnung kam. Dominique begann dann zu erzählen, warum die Frau hier lag, aber auch, dass er Anna-Maria Kuhn kannte, ihr die ganze letzte Woche die Protokolle gesteckt hatte und dass er erst seit Samstag wegen Melanie ganz genau wusste, auf welcher Seite er stand. Von Hartenstein musste ganz tief Luft holen, ein Maulwurf in seinem engsten Umfeld! Doch der junge Mann schwor ihm, dass Kuhn nichts von dem Film wusste.
Kurz hatte von Hartenstein seine Optionen taxiert. Er musste ihm glauben, er hatte gar keine andere Wahl. Dann musste alles schnell gehen. Die Leiche konnten sie ja weder liegen noch so ohne Weiteres verschwinden lassen. Bis kommenden Montag würde das nie und nimmer gehen, allein schon wegen des Leichengeruchs. Für eine Tote lag der D-Day noch weit in der Zukunft. Für ihn ging es um fünf Tage und den Rest des Tages, den er zur Absicherung noch brauchte.
Hanns-Hermann von Hartenstein kannte den Frankfurter Polizeipräsidenten seit Ewigkeiten. Carsten von Schoeler glaubte, sich verhört zu haben, als von Hartenstein ihn über de Wagers Handy anrief. Das schien ihm die einzig sichere Leitung zu sein – so hoffte er zumindest. Von Schoeler kam umgehend, und er kam allein. Nach einer halben Stunde hatte er sich auf von Hartensteins Deal eingelassen: Für die laufende Woche hieß die Tote hier Dr. Dominique Hutter. Nur gut, dass dessen Westschweizer Mutter auf diesem Namen bestanden hatte, der für Jungs und Mädchen gleichermaßen funktionierte.
Von Hartenstein hatte von Schoeler zwar nicht erzählt, dass der Währungskrieg kurz vor dem Ausbruch stand, aber ihn mit dem Hinweis, dass es in den nächsten Tagen um Deutschland ginge, auf seine staatsbürgerliche Pflicht eingeschworen. Wie er war von Schoeler ein Mann der alten Schule, der, wenn es sein musste, durchaus den Mut hatte, auch einmal Gesetze und Verordnungen so auszulegen, wie man es wirklich brauchte. Außerdem war er ohnehin mutiger als von Hartenstein, den er aus Kindertagen kannte.
Dominique Hutter war kurz verhört worden und dann im Kofferraum des Autos des Polizeipräsidenten aus der Tiefgarage zu »Da Fredo« verfrachtet worden. Er hatte sich nur überreden lassen, weil »ansonsten Melanies Tod noch sinnloser wäre«. Alfredo hatte erst gar nicht mit von Hartenstein sprechen wollen. Immer noch lag ihm der Streit von letzter Woche im Magen. Ungern ließ sich der Italiener so von einem Deutschen provozieren. Doch als von Hartenstein sich entschuldigte und sagte, es gehe um Europa und den Euro, auch um Deutschland und Italien, war Alfredo gleich dabei. Er besorgte sogar noch einen »Spezialkellner«, dessen Größe allein schon für Dominique Hutters Sicherheit sorgen konnte.
Für sich selbst musste und wollte von Hartenstein allein sorgen. Nach der Ermordung von Melanie de Wager wollte er niemanden mehr mit in die Sache hineinziehen. Weder Hutter noch Alfredo und erst recht nicht seine Familie. Es war schon genug passiert.
15.00 Uhr
Am Nachmittag holte von Hartenstein seinen Teil der Teams zusammen. Immer wieder schaute er von links, wo Klein und Ernst saßen, nach rechts, wo die Damen Christ und Walther de Pasquale an seinem Besprechungstisch Platz genommen
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