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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Sie diesen Mann auf einer geraden, völlig freien Straße. Sie bringen seine Leiche zu mir. Sie bringen auch seine Aktentasche, seine leere Aktentasche. Können Sie mir folgen?«
    »Einen Augenblick, Inspektor!« Orgagna lehnte sich in seinem Stuhl vor. Seine Stimme klang erregt.
    Der Inspektor hob die Hand. »Würden Eure Hoheit mir gestatten, zu enden. Ich weiß, was Eure Hoheit bemerken wollen. Eine Anschuldigung wie diese würde Eurer Hoheit Gemahlin mit einem Verbrechen in Verbindung bringen. Das ist, selbstverständlich, ganz undenkbar.«
    »Ich danke Ihnen, Inspektor«, sagte Orgagna leise. Langsam ließ er sich in seinen Stuhl zurücksinken und beobachtete Granforte unter gesenkten Lidern hervor.
    »Es ist daher notwendig, den Geschehnissen des Nachmittags größere Aufmerksamkeit zu widmen. Den Unternehmungen Ihrer Frau Gemahlin und des Herrn Ashley, dem Verbleib Garofanos, nachdem er das Hotel verließ. Dann dürfte die rein zufällige Natur des Unfalls sofort klar werden. Andererseits …«
    Ashley hörte geduldig zu. Der Inspektor mit dem weichen Gesicht war durchaus kein Narr. Auf seine eigene umständliche Weise näherte er sich unfehlbar der Wahrheit.
    »… andererseits mag es auch sein, daß Herr Ashley uns noch gewisse Informationen vorenthalten hat.«
    »Ich habe weiter nichts zu sagen, Inspektor.«
    Granforte spitzte seine vollen roten Lippen und neigte den Kopf.
    »Können Sie uns gar keine weiteren Hinweise geben, die unsere Untersuchung etwas erleichtern könnte?«
    »Doch.«
    »Und welche wären das, Herr Ashley?«
    »Schicken Sie Ihre Leute an die Stelle, wo Garofano heruntergefallen ist. Vielleicht findet sich dort eine Erklärung dafür, wieso er überhaupt dahin gelangte, und warum er herunterstürzte.«
    Der Inspektor nickte.
    »Das haben wir uns schon vorgenommen, Herr Ashley. Unglücklicherweise können wir vor Tagesanbruch nichts unternehmen. Wenn ich auch persönlich überzeugt bin, daß wir nichts finden werden, bin ich doch entschlossen, auch die unwahrscheinlichste Möglichkeit zu prüfen.«
    Er hätte weit mehr sagen können. Er hätte verraten können, daß im gleichen Augenblick zwei Polizisten mit dem Auftrag unter den Olivenbäumen saßen, jeden, der in ihre Nähe kam, zu verhaften. Er hätte auch mitteilen können, daß er im Grundbuch festgestellt hatte, daß die Stelle, von der Garofano abgestürzt war, zu einer Besitzung des Herzogs von Orgagna gehörte.
    Doch war Inspektor Granforte ein zu gerissener Bursche, um in einer Situation wie dieser gleich sein ganzes Pulver zu verschießen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, mondgesichtig und liebenswürdig, und wartete, ob ihm nicht irgendwer eine Frage stellen würde. Es überraschte ihn, daß die Frage von George Harlequin kam.
    »Wo wohnte dieser Mensch eigentlich, dieser Enzo Garofano?«
    »In Sant' Agata, oben auf dem Berg.«
    »Man müßte also annehmen, daß er vom Hotel aus nach Hause gegangen ist?«
    »Wahrscheinlich.«
    »War er wohl zu Fuß gegangen? Es ist ein weiter Weg.«
    »Normalerweise wäre er wohl mit dem Bus gefahren. Doch hätte er den Bus, als er das Hotel verließ, nicht mehr erreicht. Der nächste ist erst zwei Stunden danach abgefahren. So mag er sich wohl entschlossen haben, zu Fuß zu gehen.«
    »Und mußte er dieselbe Straße benutzen wie Ihre Hoheit und Herr Ashley?«
    »Es ist die einzige Straße, Signore.«
    »Es wäre also möglich, daß andere Leute, die an seinen Handlungen und Bewegungen interessiert waren, ihm ohne Schwierigkeiten folgen konnten?«
    »Was für andere Leute?«
    »Was weiß ich. Jedenfalls darf man doch wohl annehmen, daß Garofano sich nur deswegen weigerte, die Dokumente an Herrn Ashley zu verkaufen, weil er einen anderen Kunden hatte.«
    Der Inspektor warf einen fragenden Blick auf Ashley.
    »Es wäre für unsere Untersuchungen von größter Wichtigkeit, wenn Herr Ashley wenigstens eine Andeutung über die Natur der Dokumente zu machen bereit wäre.«
    Ashley überlegte. Auf den ersten Blick war die Versuchung groß. Er könnte Schuld und Beweislast auf Orgagnas Schultern laden und Zeit gewinnen, um seine Suche nach den Photokopien fortzusetzen. Er könnte die Reportage seines Lebens doch noch retten. Aber andererseits blieb zuviel dem Zufall überlassen: der Einfluß Orgagnas, Rossanas Haltung, die ja bisher noch nicht einmal vernommen worden war, und Harlequins Einstellung, der ein zu erfahrener Fachmann war, um seinem Gegner einen so großen Vorteil zu

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