Die Stunde des Fremden
gewähren.
Plötzlich kam sich Ashley klein und einsam vor, und den Intrigen eines uralten, fremden Landes hilflos ausgeliefert. Er schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, ich habe nichts weiter zu sagen.«
Er hörte Orgagnas tiefes, leises Ausatmen. Er sah, wie sich Rossanas Hände in ihrem Schoß entspannten. Und er nahm Harlequins kleine, gleichgültige Geste zur Kenntnis. Er beobachtete Inspektor Granforte, der den letzten Schluck seines Kognaks trank und ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche fischte. Er fragte sich, was wohl hinter diesen scheinbar so freundlichen Augen vorgehen mochte. Er brauchte nicht lange zu warten.
»In diesem Fall, Herr Ashley, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie wegen Beamtenbestechung und Totschlags zu verhaften. Wobei ich mir ausdrücklich vorbehalten muß, als Ergebnis weiterer Untersuchungen noch ernstere Anklagen zu erheben.«
Ashley war plötzlich ganz ruhig. Er erhob sich.
»Sie müssen Ihre Pflicht tun, so wie Sie sie sehen. Ich muß Sie allerdings bitten, sofort den amerikanischen Konsul in Neapel anzurufen und mir die Möglichkeit zu geben, mit ihm zu sprechen.«
Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen in dem hellerleuchteten Raum. Inspektor Granforte starrte auf seine weichen Hände. Die anderen drei sahen Ashley an, der aufrecht und sicher unter dem strahlenden Kronleuchter stand. Dann räusperte sich Orgagna.
»Inspektor?«
»Eure Hoheit?«
»Sie sind ein verantwortungsbewusster Beamter von untadeligem Ruf. Es steht mir nicht zu, die Weisheit oder Richtigkeit Ihrer Entscheidungen in Frage zu stellen.«
Granforte verbeugte sich in Anerkennung des Kompliments. Dann saß er aufrecht und gesammelt in seinem Stuhl und wartete.
»Jedoch ist der Fall noch weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein«, fuhr Orgagna fort, »und wie Sie sehr wohl wissen, wirft ein Prozess gegen Ausländer gewisse Probleme, rechtlicher sowie auch … äh, diplomatischer Natur auf. Herr Ashley ist ein Journalist von weltweitem Ruf. Er ist überdies ein Freund meiner Frau und von mir. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihn – jedenfalls bis zum Abschluß Ihrer Untersuchungen – meiner Obhut anvertrauen würden.«
Granfortes Gesicht blieb völlig ausdruckslos, doch innerlich jubelte er. Das war der erste Schritt. Über den Preis würden sie später reden. Später, viel später, wenn er über noch weit mehr Material als Tauschobjekt verfügen würde. Er tat, als zögere er.
»Ich – ich wünsche nichts mehr, als Eurer Hoheit in diesem Fall entgegenkommen zu können. Es gibt da jedoch gewisse Probleme …«
»Vielleicht können wir sie gemeinsam lösen«, sagte Orgagna höflich.
»Zunächst einmal: Garofano war ein Bürger der Gemeinde. Die Leute werden erwarten, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Es würde nicht gut aussehen, wenn der Mann, der ihn ums Leben brachte, als geehrter Gast hier im Hotel verbleibt. Dies könnte Anlass zu … Zwischenfällen sein. Sie kennen das Volk und seine primitiven Anschauungen in solchen Dingen …«
»Daran habe ich schon gedacht. Ich wollte daher vorschlagen, daß er den Rest seines Aufenthaltes in Sorrent auf unserem Sommersitz verbringt. Wie Sie wissen, werde ich selbst bis nach den Wahlen dort bleiben. Herr Ashley wird den Augen der Öffentlichkeit entrückt sein und Ihnen überdies jederzeit zur Verfügung stehen.«
»Eure Hoheit bürden sich damit eine große Verantwortung auf.«
»Im Namen der Freundschaft ist keine Verantwortung zu groß.«
Inspektor Granforte verbeugte sich mit einem strahlenden Lächeln und wandte sich an Ashley. »Sind Sie mit diesem Arrangement einverstanden, Herr Ashley?«
»Ja.«
»Ist es Ihnen klar, daß Sie im moralischen Sinn auf Parole entlassen sind?«
»Durchaus.«
»Danke.« Noch immer lächelnd, wandte sich Granforte Orgagna zu. »Wenn es Eurer Hoheit recht ist, würde ich nun gern die Aussage der Frau Herzogin zu Protokoll nehmen. Ohne Zweifel wird es Ihrer Hoheit angenehmer sein, wenn Eure Hoheit zugegen sind.«
»Lassen Sie uns nach nebenan gehen. Bitte bedienen Sie sich selbst mit Kognak, Harlequin, Ashley.«
Er ging voran. Rossana und Granforte folgten ihm. Die Tür schloß sich hinter ihnen, und nach einiger Zeit hörte man ihr Murmeln.
Harlequin nahm die beiden Kognakgläser, wärmte sie über einer Spiritusflamme auf dem Serviertisch und brachte Ashleys Glas. Vor dem ersten Schluck exerzierten sie wortlos die Zeremonie des Riechens und Schmeckens.
»Ich habe Sie
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