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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Gesicht nach unten, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Mit einem Zipfel des Betttuches tupfte sie sich die Tränen aus den Augen. Dann richtete sie sich langsam auf. Ihre Augen sprühten kalten, berechnenden Hass. Langsam begann sie, ihn in dem lebhaften, ordinären Jargon von Neapel zu verfluchen: »Dein Samen soll vertrocknen und deine Weiber sollen verfaulen! Deine Söhne sollen Zwerge sein und deine Töchter unfruchtbar! Du sollst sterben mit deinen Sünden und in der Hölle braten in alle Ewigkeit, weil du meinen Bruder getötet hast!«
    »Ihren Bruder?!« flüsterte er entgeistert. »Ihren Bruder!«
    Langsam wandte er sich ab. Durch die Vorhänge trat er hinaus in die klare Nachtluft. Das Mädchen saß immer noch auf ihrem Bett und verfluchte den Mann, der den Tod in ihre Familie getragen hatte.
    Blind und ratlos ging Ashley zurück in den strahlend erleuchteten Raum, in dem Rossana und Orgagna schon auf ihn warteten.

6
    Inspektor Granforte hatte Rossanas Aussage zu Protokoll genommen und gesagt, sie könnten die Abreise zur Villa ruhig auf den folgenden Morgen ansetzen. Er war ein gutmütiger Kerl mit höflichen Manieren und nicht allzu sehr auf seine Autorität bedacht. Sie konnten froh sein, daß gerade er den Fall bearbeitete. Noch waren viele Fragen ungeklärt, doch war wenigstens für den Augenblick ein offener Skandal vermieden. Mit Diskretion und Zusammenarbeit mochte es noch immer möglich sein, daß …
    Vittorio d'Orgagnas Rede floß unaufhaltsam dahin, während Ashley vor ihm stand und seine Worte wie durch eine Wattewand hörte.
    »… es sind da noch immer gewisse Streitpunkte zwischen uns offen, Herr Ashley. Doch läßt mich Ihre Haltung von heute nachmittag hoffen, daß wir, sobald wir uns erst einmal näher kennen gelernt haben, zu einem für beide Seiten befriedigenden Arrangement kommen …«
    »Gewiß, gewiß.«
    Der Amerikaner nickte mechanisch. Streitpunkte – Arrangement – nichts als Worte, nichts als Lügen. Nur Ruhe und Schlaf brauchte er.
    »… in meinem Haus werden wir Zeit haben und Gelegenheit, uns auszusprechen …«
    Sprechen, sprechen, sprechen! Sein Kopf summte schon davon. Er brauchte Ruhe und Dunkelheit. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Zeit, seine angeschlagenen Kräfte zu sammeln.
    »Ich hab' genug für heute«, sagte er brüsk und unverbindlich. »Mehr als genug. Ich gehe schlafen. Gute Nacht, Rossana.«
    »Gute Nacht, Richard.« Rossanas Stimme war leise und weit weg.
    Orgagna nahm seinen Arm und geleitete ihn zur Tür.
    »Schlafen Sie wohl, mein lieber Freund.«
    »Gute Nacht, Orgagna.«
    Ashley hörte die Tür hinter sich ins Schloß fallen und ging langsam den Gang entlang und die große Marmortreppe zu seinem Schlafzimmer hinauf. Verdrossen suchte er in seinen Taschen nach dem Schlüssel, fand ihn endlich, schloß auf und trat ein. Dann blieb er wie versteinert stehen. Im Sessel neben der Balkontür saß Inspektor Granforte. Er trank ein Glas von Ashleys Whisky, und auf seinen Knien lag das offene Manuskript der Orgagna-Story.
    Ashley war sprachlos vor Wut und Erschöpfung. Einen Augenblick lang sah er Granforte entgeistert an, dann ging er wortlos zum Tisch, goß sich ein Glas ein und kippte es mit einem Ruck hinunter. Er füllte es wieder, stellte es auf den Nachttisch, warf sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, auf das Bett und starrte zur Decke.
    Granforte beobachtete ihn mit nachsichtiger Belustigung.
    »Müde, mein Freund?«
    »Ja.«
    »Man sagt, das sei der beste Zeitpunkt für eine Vernehmung – wenn das Opfer müde und am Ende seiner Nervenkraft ist …«
    Ashley schloß die Augen. Die Wärme des Whiskys erfüllte seinen Magen. Bald würde sie sich ausbreiten und seinem gequälten Hirn Ruhe verschaffen. Er wollte sich nicht mit Granforte streiten, mochte dieser Fragen stellen, bis er schwarz wurde. Antworten würde er heute keine mehr bekommen. Sollte er zu lästig werden, würde er ihn einfach rausschmeißen und zuschließen.
    Wieder sprach der Inspektor. Seine Stimme klang mild und war voller Sympathie.
    »… Wenn man es jedoch mit einem intelligenten, reifen und erfahrenen Mann zu tun hat, sollte man sich lieber mit Takt und Rücksicht wappnen. Ich weiß sehr wohl, daß ich hier bis zum Morgen auf Sie einreden könnte, ohne dabei der Wahrheit näher zu kommen.«
    »Sie sind ein kluger Mann, Inspektor«, murmelte Ashley. Er stützte sich auf einen Ellbogen, nahm einen Schluck und und ließ sich wieder auf das Kissen

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