Die Stunde des Fremden
Garofano niemand mehr helfen konnte. So klein der Vorteil sein mochte, man sollte doch dankbar dafür sein …
Während Ashley seinen muskulösen Körper abfrottierte und den Kopf mit dem kurz geschnittenen Haar massierte, fragte er sich, was er wohl noch zu erledigen habe, bevor er die Freiheit des Hotels gegen die Gefangenschaft in Orgagnas Villa eintauschen mußte. Sollte er sein Büro von seiner Lage in Kenntnis setzen? Lieber nicht.
Hansen, der Bürochef, war ein kleinlicher, unzuverlässiger Bursche, den eine Story viel weniger interessierte als der ungestörte Verwaltungsablauf seiner Nachrichten-Sammelmaschine. Er hatte nur wenig Sympathien für Exzentriker und noch weniger Geduld mit Reportern, die keinen angemessenen Abstand von ihrem Material wahren konnten. Wenn man ihn im falschen Augenblick erwischte, mußte man damit rechnen, nach Rom zur Berichterstattung zurückgepfiffen zu werden. Überdies mochte er, wenn er erfuhr, daß die Orgagna-Photokopien verloren waren, beschließen, die zweitausend Dollar zurückzuziehen. Und die glaubte Ashley möglicherweise noch zu brauchen. Er beschloß, sie abzuheben, sobald das American-Express-Büro seine Schalter öffnete. So hätte er wenigstens noch etwas zu tun. Als er halb angezogen war, klingelte das Telephon. Harlequin war am Apparat.
»Ashley? Tut mir leid, Sie so früh stören zu müssen.«
»Ich bin schon auf. Zieh' mich gerade an.«
»Sie fahren heute morgen. Ich würde Sie vorher gern sprechen – unter vier Augen.«
»Okay. Kommen Sie zum Frühstück.«
»Gut. Wo?«
»Kommen Sie in mein Zimmer. Wir können auf dem Balkon sitzen.«
»Wird mir ein Vergnügen sein, mein lieber Freund. Wie fühlen Sie sich denn?«
»Geradezu wundervoll.«
Harlequin kicherte und legte auf. Ashley zog sich fertig an, bestellte telephonisch das Frühstück und rauchte eine Zigarette, während er auf den Kaffee und George Harlequin wartete.
Der kleine Kerl war lebhaft wie ein Grashüpfer. Er schnatterte pausenlos und konzentrierte sich trotzdem auf sein Frühstück, als sei das die wichtigste Sache von der Welt. Dann lehnte er sich zurück und sah Ashley an, der mit einer Semmel spielte, als fürchte er, daran zu ersticken.
»Ich habe mich entschlossen, offen mit Ihnen zu sein, Ashley.«
»Das nenne ich eine Überraschung – warum, wenn man fragen darf?«
»Ich verspreche mir davon gewisse Vorteile.«
Ashley sah ihn scharf an. In seinen Augen war keine Spur von Ironie.
»Vorteile für wen?«
»Für uns beide.«
Ashley strich sich die Krumen seiner Semmel in die Hand und warf sie über den Balkon.
»Dann lassen Sie mal hören, wie offen Sie sein können.«
George Harlequin rückte seinen Stuhl herum und starrte auf das sonnenglitzernde Wasser, über das ein riesiges weißes Schiff langsam auf den Hafen von Neapel zu dampfte. Seine Stimme klang trocken und sachlich.
»Ich bin genauso sicher wie Sie, daß Garofano ermordet wurde …«
Ashley beobachtete ihn aufmerksam.
»… allerdings bin ich nicht sicher, wer es arrangiert hat – Sie oder Orgagna.«
Ashley sagte nichts. Trotz all ihrer scheinbaren Offenheit verriet ihm die Eröffnung nichts Neues.
»Ich bin in einer seltsamen Lage«, fuhr Harlequin fort: »Wenn Sie schuldig sind, sollte mich das freuen. Ich kann dann eine schwierige politische Aufgabe erfüllen und damit meiner Regierung nützlich sein. Alle Angst vor einem Skandal und vor Ihren zeitlich so unglücklich gelegenen Enthüllungen wäre zu Ende. Sie verstehen das, nicht wahr?« Sein Lächeln war unschuldig wie das eines Babys.
Ashley lächelte nicht. Der jungenhaft wirkende Kerl war kälter als ein Fisch. Er sagte nichts als die schlichte Wahrheit.
»Ich verstehe.«
»Sollte andererseits Orgagna die Sache arrangiert haben, um dadurch Belastungsmaterial gegen sich selbst aus der Welt zu schaffen, dann würde ich mich verpflichtet sehen, meiner Regierung reinen Wein einzuschenken und den Rat zu geben, alle Verhandlungen mit ihm und seinen Kollegen abzubrechen. Ich bin in der Tat in einer höchst unangenehmen Lage.«
»Nicht wahr?« Zum ersten Mal lächelte Ashley ehrlich amüsiert.
»Wir beide sind es«, räumte Harlequin ein. »Inspektor Granforte, der durchaus kein dummer Kerl ist, hat Sie wegen einem fast halben Dutzend Verbrechen am Wickel und liefert Sie überdies einem Mann aus, der Sie hasst wie die Pest. Wenn Sie schuldig sein sollten, habe ich nicht viel Mitleid mit Ihnen. Sollten Sie hingegen unschuldig sein …«,
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