Die Stunde des Fremden
Weg hinunterzusteigen. Kiesel rollten klappernd und prasselnd vor ihm her. Er stützte sich mit der Hand gegen die Felsen, die so heiß waren, daß seine Finger brannten. Dann trat er auf einen losen Stein, rutschte aus, fiel und glitt die letzten Meter auf dem Hosenboden hinunter, bis er fluchend auf dem Strand landete.
Beim Aufstehen hörte er Rossana lachen. Sie lag auf einem großen Badetuch unter einem Felsvorsprung, ihr brauner Körper war sonnendurchglüht und wunderschön. Dunkle Gläser verbargen ihre Augen, aber ihr Mund lachte und ihre Schultern zuckten.
Ashley klopfte den Staub von seinem Anzug und setzte sich neben sie.
Plötzlich verstummte ihr Gelächter. Sie klammerte sich verzweifelt an ihn. Den Kopf an seine Brust gelegt, schluchzte sie in leidenschaftlicher Erregung.
»Oh, Richard! Liebling! Ich hoffte, du würdest kommen. Ich hoffte es so sehr! Ich hatte keine Gelegenheit, dich darum zu bitten. Jetzt bin ich zum ersten Mal allein seit gestern. Ich hab' dir soviel zu sagen – soviel zu erklären … Küß mich, mein Freund!«
Und weil er sich für den krummen Weg entschieden hatte, weil er nicht auf ihre falschen Erklärungen verzichten konnte, weil er Zeit zum Nachdenken brauchte, und weil er – wenn auch gegen seinen Willen – noch immer in sie verliebt war, küßte er sie. Ihre Haut war wie Seide unter seinen Händen. Ihre Lippen lagen weich auf seinem Mund. Ihr ganzer Körper gab sich ihm hin. Dann, langsam, ließ sie ihn los und legte sich zurück; den Kopf auf die Hände gestützt, sah sie ihn an.
»Ich bin mit deinem Mann spazierengegangen«, sagte er. »Er ging zum Haus zurück. Ich dachte, ein Bad könnte mir nicht schaden.«
»Wie schön, Richard! Wir können zusammen schwimmen.«
»Lass uns erst reden.«
Er zog sein Hemd aus und warf es in den Sand. Rossana setzte sich auf und schlang die Arme um die Knie. Sie blickte ihn an, doch konnte er ihre Augen nicht sehen. Er streckte die Hand aus und nahm ihr die Sonnenbrille ab. Sie blinzelte, aber sie machte keinen Versuch, sie wieder auf zusetzen, ihre Augen waren ernst und zärtlich, doch ihm schienen sie voller Lügen.
»Müssen wir reden?«
»Ja.«
»Es war furchtbar gestern, Richard – die Fragen, die ewigen Debatten. Die Lügen, die Komödie, die ich spielen mußte – um zu zeigen, daß ich dich nicht mehr liebte, daß es mir gleichgültig ist, was aus dir wird.«
»Du hast es großartig gespielt«, sagte er lächelnd.
Auch seine Augen waren voller Lügen, Lügen, an denen sie schuld war. Lügen, die er weder sich noch ihr je vergeben konnte. Er ließ Sand durch die Finger auf ihre Haut rinnen.
»Was denkt eigentlich dein Mann – über uns?«
»Gar nichts, Richard. Daß wir uns lieben oder geliebt haben, ist ihm ziemlich gleichgültig. Zwischen ihm und mir gibt es schon lange keine Liebe mehr. Es ist ihm gleichgültig, woran mein Herz hängt. Aber als seine Frau bin ich wichtig für ihn – politisch. Und du bist es, weil es in deiner Macht steht, ihn zu ruinieren.«
»Wozu dann die Komödie?«
»Für Inspektor Granforte, für George Harlequin … ich glaube, sogar für Tullio und Elena.«
»Was? Elena ist doch seine Geliebte?«
Rossana lächelte.
»Sie war es. Jetzt ist sie ihm unbequem geworden. In Regierungskreise paßt sie nicht so recht. Bevor wir Rom verließen, hat er ihr erzählt, wir würden uns versöhnen. Meine Begegnung mit dir hat das Märchen zwar zerstört, aber er besteht darauf, es aufrechtzuerhalten. Deswegen hat er auch Tullio mitgebracht. Er will die beiden verheiraten.«
Ashley grinste.
»Mir scheint, dieser Tullio hat nicht viel für Frauen übrig.«
»Darum ist es ihm völlig gleichgültig, wen er heiratet. Wichtig ist für ihn nur, daß er dafür bezahlt wird.«
»Und Elena? Hat die dabei gar kein Wort mitzureden?«
Rossana machte eine müde, angewiderte Handbewegung.
»Weniger als du denkst, Richard. In Italien gibt es viele Mädchen wie sie, und zuwenig Männer, die es sich leisten können, sie zu heiraten. Ihr bleibt nur zweierlei: einen anderen Freund finden – oder Tullio heiraten, vom Geld meines Mannes leben und gleichzeitig die Freiheit einer vernachlässigten Ehefrau genießen. Ich denke, sie wird das letztere vorziehen.«
»Liebt sie deinen Mann?«
»Das ist ja das Unglück«, sagte Rossana, »ich glaube, ja. Das tut mir schrecklich leid.«
Ashley fing allmählich an, Gefallen an der Sache zu finden. Das waren alles interessante Neuigkeiten, und soweit
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