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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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schienen sie sogar wahr zu sein. Allerdings konnte ihm Rossana jeden Augenblick eine Lüge auftischen.
    Doch würde er wenigstens die Genugtuung haben, zu wissen, wann sie anfing zu lügen. Er verwandte große Sorgfalt auf die Formulierung der nächsten Frage.
    »Rossana, du bist dir doch klar über meine Lage, nicht wahr?«
    »Nur allzu sehr, Richard. Deswegen habe ich ja so Angst um dich.«
    »Du weißt also, daß jede deiner Antworten von großer Bedeutung für mich ist. Egal, wie unbedeutend und nebensächlich dir die Frage vorkommt?«
    »Ja.«
    »Gut. Jetzt sage mir bitte: was wollte ich von Garofano kaufen?«
    »Photokopien von Briefen meines Mannes.«
    »Woher weißt du das?«
    »Du hast mir gesagt, du wolltest gewisse Informationen kaufen. Von meinem Mann erfuhr ich, worum es sich handelte.«
    »Wann?«
    »Nachdem ich zurückkam von – von dem Unfall.«
    »Woher wußte er es?«
    »Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er von Anfang an über deine Bewegungen und Handlungen unterrichtet worden ist. Das kann nicht schwer für ihn gewesen sein.«
    »Weißt du, wer Garofano war?«
    »Nein. Der Inspektor sagte, er wäre Rathausangestellter in Neapel gewesen.«
    »Weiß es dein Mann?«
    »Ich habe keine Ahnung. Er hat es mir jedenfalls nicht gesagt.«
    »Warum wolltest du, daß ich eine Schwindelgeschichte über den Unfall erfinde?«
    Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung über die unerwartete Frage, doch antwortete sie ohne Zögern.
    »Das hab' ich dir doch gesagt, Richard. Es ist sehr unklug, der Polizei hier etwas zu erzählen, das unwahrscheinlich klingt. Und ich habe doch recht damit gehabt. Oder nicht?«
    »Ja, das hast du. Nun sage mir bitte, warum hat dein Mann mich mit hierher genommen, anstatt mich ins Gefängnis wandern zu lassen?«
    Rossana sah ihn traurig an.
    »Ich denke … ich fürchte, daß er etwas mit dem Tod dieses Mannes zu tun hat.«
    Die Offenheit ihrer Worte überraschte ihn, doch sagte er nichts.
    »Selbst wenn er nichts damit zu tun hätte«, fuhr sie fort, »würde er doch versuchen, einen Skandal, in den ich verwickelt bin, zu vermeiden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig und höchst gefährlich für seine Karriere. Mehr als das …«, sie zögerte einen Augenblick, »außerdem glaubt er, daß du die Photokopien hast. Er will sie dir abhandeln oder, wenn nötig, dich durch eine Erpressung zur Herausgabe zwingen.«
    Das schien ihm eine so offenbare und überflüssige Lüge zu sein, daß er alle Vorsicht vergaß. Er stieß Rossana empört von sich.
    »Verdammt noch mal«, schrie er, »das glaubst du doch selbst nicht! Und denke nur nicht, daß ich darauf reinfalle! Er weiß ja, daß ich die Photokopien nicht habe. Du selbst hast gesehen, wie Garofano sich weigerte, sie mir zu verkaufen. Von da an warst du jede Minute mit mir zusammen – bis zu dem Augenblick, wo ich dich ins Hotel brachte. Du wirst ja deinem Mann berichtet haben, was vorging.«
    »Das habe ich getan, jawohl«, antwortete sie ruhig und bestimmt. »Ich habe ihm berichtet, daß ich gesehen habe, wie du Garofano einen Umschlag aus der Brusttasche gezogen hast. Er hat mir geglaubt, Richard.«
    »Warum hast du das gesagt?«
    »Wenn ich es nicht getan hätte, wärest du jetzt im Gefängnis – oder müsstest mit einem Tod wie Garofano rechnen.«
    Er blickte auf und sah die schmerzliche Verwunderung in ihren Augen. Jetzt erst wußte er, was für ein Narr er gewesen war – und beeilte sich, ein noch größerer zu werden. Er zog sie an sich und versuchte, für seinen verhängnisvollen Irrtum Verzeihung zu erbitten.
    »Rossana, ich – ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut. Ich hätte wissen müssen, daß du mich nicht belügen würdest. Ich habe gefürchtet, du hättest mich verraten und …«
    Sie riß sich von ihm los und schlug ihn ins Gesicht. Einmal – und noch einmal. Sie ergriff ihr Badetuch und stand schweratmend über ihm. Ihre Augen sprühten Zorn und Verachtung.
    »Du – das konntest du glauben! Du konntest das glauben und mich in deinen Armen halten und küssen und … Du bist gemein und widerlich! Ekelhaft wie ihr alle! Bei Gott, ich wünschte, ich hätte dich nie kennen gelernt!«
    Sie bückte sich, nahm eine Handvoll Sand und schleuderte ihn in seine Augen. Dann stürzte sie den Felsenpfad hinauf in den tröstenden Schatten der Olivenbäume.
    Blind und verzweifelt stolperte Richard Ashley zum Wasser und versuchte, den Sand aus seinen Augen zu waschen.
    »Weiber!« sagte Tullio

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