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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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den Herzog von Orgagna.
    Der Majordomo half ihnen aus dem Wagen. Zunächst dem Herzog, dann Rossana, dann den anderen, wobei er jedem eine sorgfältig abgestimmte Dosis Respekt zudachte.
    Als die Reihe an Elena Carrese kam, nahm er sie in den Arm, küßte sie auf beide Wangen und drückte sie an seine goldbestickte Brust. Das Mädchen klammerte sich in kindlicher Zuneigung an ihn. Ashley glaubte einen Augenblick, Elena würde in Tränen ausbrechen. Orgagna bemerkte seine Überraschung und lächelte.
    »Mein Haushofmeister – Carlo Carrese. Elena ist seine Tochter.«
    »Oh!«
    Das war keine sehr intelligente Reaktion, aber was hätte er schon sagen sollen? Er war von Seltsamkeiten umgeben, und Orgagnas häusliche Verhältnisse gaben ihm das größte Rätsel auf.
    Nach der Begrüßung wurde Ashley in ein riesiges Zimmer mit einem Himmelbett und einer Kassettendecke geführt. Die Fenster blickten über Olivenhaine auf eine kleine runde Bucht.
    Die Läden standen offen, und der Raum lag im heilen Sonnenlicht. Nachdem der Diener sich zurückgezogen hatte, stand Ashley auf den Steinfliesen und musterte seine Umgebung. Der Raum war groß genug, um einer Armee Quartier zu bieten. Selbst das riesige Bett wirkte in ihm winzig und klein. Der Fliesenfußboden zeigte ein so vollendet schönes Rosenblattmuster, daß er versucht war, sich zu bücken, um die Blumen zu berühren. Das Mobiliar war florentinisch, und der Kaminsims war ein barockes Meisterwerk aus buntem Marmor. Ohne das durch die französischen Fenster hereinflutende Sonnenlicht hätte der Reichtum ihn bedrückt.
    Wieder einmal wurde Ashley daran erinnert, daß er ein Fremder war. Ein Fremdling aus der Neuen Welt, dem es schwer fiel, sich mit dem ererbten Überfluss der Alten Welt abzufinden.
    Es klopfte, und eine junge Italienerin brachte seinen Koffer. Er ging ihr entgegen, um ihr zu helfen, doch wies sie ihn lächelnd zurück und begann auszupacken.
    Er stand dabei, rauchte eine Zigarette und wunderte sich, wieso ihm der Anblick des dicken Mädchens mit dem breiten, einfachen Gesicht und den verarbeiteten Händen gefiel. In der Unwirklichkeit seiner Lage kam sie ihm vor wie das erste Bindeglied zur Wirklichkeit, und er war ihr dankbar dafür.
    »Wie heißen Sie?« fragte er.
    »Concetta.«
    »Arbeiten Sie schon lange hier?«
    »Ich gehöre zur Familie«, sagte sie mit einem Anflug von Stolz in der Stimme. »Ich bin die Zofe der Herzogin. Sie hat mir aufgetragen, für Sie zu sorgen.«
    »Das ist sehr liebenswürdig von der Herzogin.«
    »Sie ist eine liebe Herrin, Signore.«
    Sie packte die schmutzige Wäsche, die sie beiseite gelegt hatte, in seinen Koffer und ging damit hinaus.
    Eine liebe Herrin, jawohl. Lieb und begehrenswert – und verdammt teuer für einen Mann, der zu alt ist, um allzu freigebig mit seiner Liebe umgehen zu können. Ein Zyniker mochte sich über einen solchen Gedanken lustig machen. Und doch war es so. Wohl zähmten die Jahre den Körper, doch sie ließen die Seele hungrig. Ein Mann mochte allein sterben, doch wenn er ungeliebt starb, dann starb er wahrhaft arm. Es war ein düsterer Gedanke, und er versuchte ihn abzuschütteln. Er zog die Jacke aus, band den Schlips ab und knotete einen bunten Schal um den Hals. Dann ging er hinunter auf die sonnenbeschienene Terrasse.
    Orgagna lehnte in einem eleganten Sommeranzug an der Marmorbalustrade und blickte über seinen Besitz hinaus auf das Meer. Er hörte Ashleys Schritte und drehte sich nach ihm um: »Kommen Sie und leisten Sie mir Gesellschaft, Ashley«, sagte er lächelnd. »Sind Sie gut untergebracht?«
    »Ausgezeichnet, danke sehr.«
    »Gefällt Ihnen mein Haus?«
    »Ich finde es großartig. Man muß Sie darum beneiden.«
    »Lassen Sie uns ein Stück gehen. Dann kann ich Ihnen das ganze Grundstück zeigen.«
    »Gern.«
    In seinem Lächeln war so viel Freundlichkeit und in seiner Stimme so echte Freude, daß es schwer fiel zu glauben, daß dieser Mann einen Mord geplant hatte, um eine Anzahl anderer Verbrechen zu vertuschen. In gewisser Weise war ihm Ashley dankbar. Hier in offener Feindschaft mit ihm zu leben, wäre ganz unerträglich gewesen.
    Orgagna nahm seinen Arm und führte ihn zu einer Steintreppe, die von kleinen Marmorstatuen tanzender Faune und Bacchantinnen im blutleeren Stil Canovas gesäumt waren. Die Stufen führten auf einen Kiespfad, der sich sanft durch die Rasenflächen und die Orangenhaine zum Meer hinunter schlängelte.
    Im Gehen redete Orgagna auf Ashley ein. Jetzt

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