Die Stunde des Fremden
zu kaufen sind. Daher …«, er brach ab und wartete einen Augenblick, bevor er, seine Worte sorgfältig wählend, fortfuhr: »Daher schlage ich vor, etwas zu tun, was ich noch nie in meinem Leben getan habe: Mich selbst zu erklären. Sie haben sich im Laufe Ihrer Untersuchung mit vielen Menschen über mich unterhalten, Herr Ashley. Mich haben Sie noch nie zu Wort kommen lassen. Mir scheint, ich habe einen Anspruch, in eigener Sache gehört zu werden. Sind Sie nicht auch der Meinung?«
»Durchaus.«
»Wenn ich Sie überzeugen sollte – werden Sie Ihre Story dann zurückziehen?«
»Wenn Sie mich überzeugen – ja. Wenn Sie mich nicht überzeugen, werde ich auch Ihre Rechtfertigung veröffentlichen. Auf jeden Fall können Sie nur gewinnen.«
»Netter Gerechtigkeitssinn, Ashley«, sagte Vittorio d'Orgagna ohne Ironie. Er erhob sich und ging auf und ab. Der dicke Teppich schluckte seine Schritte. Ashley ließ kein Auge von ihm. Er konnte nicht umhin, die kühle Kraft dieses Mannes zu bewundern, die rücksichtslose Klarheit seines Urteils, seinen leidenschaftlichen Glauben an sich selbst und an seine Sache. Jetzt stand er unter einem gewaltigen Druck. Doch hatte er nichts von seiner Würde eingebüßt. Man mochte ihn lieben oder hassen, verehren oder kreuzigen – Vittorio d'Orgagna blieb stets ein ganzer Mann.
Plötzlich blieb er stehen und lehnte sich mit übereinander geschlagenen Beinen an seinen großen Schreibtisch, wie ein Anwalt vor einem Plädoyer.
»Zunächst einmal, mein lieber Ashley, eine kurze Einleitung – schlicht und ohne alles rhetorische Beiwerk. Wir sind hier in Italien – nicht in Amerika oder England! Sie müssen mich und meine Handlungen in meinem eigenen Milieu sehen und mit Bezug auf die Bedingungen, die in meinem Lande herrschen. Das ist, glaube ich, ein allgemein anerkannter Grundsatz. Während ein Mord in Chicago ein Verbrechen ist, kann er in Afrika ein religiöser Akt sein. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Vollkommen.«
»Erkennen Sie diesen Grundsatz an?«
»Kommt darauf an, wie man ihn auslegt.«
Orgagnas Lächeln verriet widerwillige Anerkennung.
»Hübsch ausgedrückt, mein Freund. Fürs erste verlange ich nicht mehr. Wie ich Ihnen sagte, sind mir die Anklagen, die Sie gegen mich erheben, durchaus bekannt. Es handelt sich um drei Hauptpunkte. Erstens: daß ich mir einen Regierungskredit aus dem Dollarfonds verschafft habe – Gelder, die für Industriegründungen im Süden Italiens vorgesehen waren, und daß ich diesen Kredit meinen Fabriken im Norden zukommen ließ. Zweitens: daß ich als Verantwortlicher für die Gratisverteilung amerikanischen Saatgetreides an Bauern in Notstandsgebieten dieses Getreide an Parteigenossen in ganz Italien verkauft habe. Drittens: daß ich unter Bruch italienischer Gesetze gewisse Dollarbeträge ausgeführt und als Reserve auf amerikanischen Banken deponiert habe. Ist das eine korrekte Zusammenfassung, Ashley?«
»Absolut.«
»Was erwarten Sie nun von mir? Soll ich alles leugnen?«
»Das dürfte kaum möglich sein.«
»Ich leugne nichts, Herr Ashley.« Die Worte kamen scharf und klar wie ein Peitschenhieb. »Es ist wahr – es ist alles wahr! Und es gibt noch viel mehr Punkte, die sogar Ihrer sorgfältigen Untersuchung entgangen sind.«
»Wenigstens sind Sie ehrlich.« Ashley grinste ihn über den Rand seines Glases an.
»Es ist gesetzwidrig, es ist alles gesetzwidrig«, fuhr Orgagna fort. »Doch behaupte ich, daß alles notwendig war und gerechtfertigt.
Sie fragen mich, warum ich gewisse Fonds vom Süden nach dem Norden abgezweigt habe? Wenn ich versuchen würde, hier im Süden eine Industrie aufzubauen, ohne Rohstoffe, ohne Nachschub, ohne Transportverbindungen, ohne Facharbeiter, würden wir das Geld ganz einfach verlieren. Genauso gut könnte ich Wasser in ein Fass ohne Boden gießen. Im Norden dagegen konnte ich mit dem Geld zweitausend Arbeitsplätze schaffen.
Sie fragen mich, warum ich das Saatgetreide verkauft habe und noch dazu nur an Parteimitglieder verkauft habe, nachdem es doch ein Geschenk war? Auch das will ich Ihnen erklären. Den Bauern etwas zu schenken, heißt, das Geschenk wegwerfen, oder aber zuzusehen, wie sie ihrerseits das Geschenk weiterverkaufen und sich über den Geber lustig machen. Verkauft man es ihnen dagegen, werden sie es sofort hochschätzen. Damit, daß man es Parteigenossen vorbehält, bringt man ihnen bei, den Wert der Zusammenarbeit schätzen zu lernen. Es ist falsch. Es ist
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