Die Stunde des Fremden
er, daß nach dem Zwischenfall bei der Madonna die Schwierigkeiten, mit ihr in Verbindung zu treten, noch größer werden würden.
Damals im Hotel hatte Garofano erklärt, die Photokopien seien bei der Hand – stünden jederzeit zur Verfügung, sobald das Geld da sei. Das dürfte wohl gestimmt haben. Falls nicht, wäre er schließlich gar nicht zu der Verabredung erschienen. Und wenn es gestimmt hatte, mußten sie irgendwo in Sorrent sein. Vielleicht in einem Bankdepot oder in der Hand eines zuverlässigen Freundes – allerdings hatten Spitzel keine Freunde und trauten auch niemandem.
Dann kam ihm ein neuer Gedanke. Doch ehe er ihn zu Ende denken konnte, öffnete sich leise die Tür, und Rossana trat ein.
Sie war im Negligé. In einem Morgenmantel aus schwerer Seide. Ihr Haar hatte sie im Nacken geknotet. Sie trug ein Handtuch, einen Wasserkrug und ein kleines Fläschchen Öl. Ashley setzte sich im Bett auf und starrte sie entgeistert an.
»Rossana, bist du wahnsinnig?«
»Deine Augen. Richard! Ich sah beim Dinner, daß sie ganz entzündet sind. Ich – ich dachte, das wenigste, was ich tun könnte, wäre …«
Sie ging zum Fenster und zog die schweren Vorhänge zu. Dann schaltete sie das Licht ein und stellte das Wasser und das Öl auf den Nachttisch. Ashley beobachtete sie, erstaunt und unsicher. Als sie zu ihm kam, versuchte er nicht, sie zu berühren. Er lehnte sich in die Kissen, während sie seine Augen vorsichtig auswusch und die entzündeten Stellen mit Öl betupfte. Ihre Hände waren sanft auf seiner Haut, und ihre Stimme war voll zärtlichen Bedauerns.
»In jenem Augenblick, Richard, war ich nahe daran, dich zu hassen. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso du solche Gedanken gegen mich hegen konntest. Es ging mir nicht in den Kopf, daß du mich küssen und in deinen Armen halten, und dabei etwas Wunderschönes zu einer schrecklichen Lüge machen konntest. Nein, nein! Versuch nicht, mich zu unterbrechen. Lieg still und lass mich reden. Deine Augen sind schrecklich entzündet. Später, als ich anfing, darüber nachzudenken, verstand ich allmählich, wie es für dich ausgesehen haben mußte: Du musstest glauben, ich hätte mich für einen Plan zu deiner Vernichtung hergegeben, um meinen Mann zu retten. Ich – ich mache dir jetzt keine Vorwürfe mehr. Es ist mein Fehler, daß ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe und …«
»Auch ich mache dir keine Vorwürfe. Am Strand habe ich versucht, dir zu sagen, wie leid es mir tut.« Er lächelte bitter. »Nur wolltest du mich nicht anhören. Verzeihst du mir jetzt?«
Sie küßte ihn flüchtig und wandte sich wieder seinen Augen zu. Dann legte sie das Handtuch auf den Nachttisch und setzte sich auf den Rand seines Bettes. Er zog sie an sich und küßte sie noch einmal, doch machte sie sich los und sah mit zärtlichen, besorgten Augen auf ihn herunter.
»Richard … Was soll bloß aus uns werden?«
»Wie meinst du das?«
»Nach allem, was geschehen ist, kann ich nicht mehr mit meinem Mann zusammenleben. Auch zweifle ich, ob er es will. Nach den Wahlen werde ich ja für ihn von keinem Nutzen mehr sein.«
»Willst du dich scheiden lassen?«
»Das italienische Gesetz erlaubt keine Scheidung.«
»Wir könnten fortgehen. Scheiden lassen könntest du dich in einem anderen Land.«
»Ja.« Es klang nicht überzeugt. Es war nichts als die einfache Bestätigung einer allgemein bekannten Tatsache.
»Du bist katholisch, ist es das? Die Kirche verdammt die Scheidung und erlaubt keine zweite Ehe geschiedener Menschen.«
»Ich – ich habe so lange fern von der Kirche gelebt. Ich glaube, es macht schon keinen Unterschied mehr, was ich noch tue.«
»Ich bin nicht katholisch, Rossana. Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, wie wir heiraten und wer uns traut. Aber ich kann wohl verstehen, daß es für dich etwas bedeutet. Könntest du trotzdem mit mir glücklich werden?«
»Glücklich?« Sie sah von ihm fort und drehte nervös an ihrem Ring. »Ich weiß nicht, was Glück bedeutet, Richard. In den alten Tagen dachte ich, ich wäre glücklich mit dir. Dann glaubte ich, ich könnte glücklicher werden mit dem, was Orgagna mir zu bieten hatte. Doch auch das genügte nicht. Jetzt … weiß ich es einfach nicht. Vielleicht ist es niemals genug.«
Ashley musterte sie verwirrt.
»Was meinst du damit? Daß du mich nicht liebst?«
»Wie kannst du so etwas sagen?«
»Ich sage es nicht. Ich frage dich. Willst du, daß wir zusammen fortgehen, und daß ich
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