Die Stunde des Fremden
dich heirate? Willst du deinen Mann verlassen?«
Ashley ging aufs Ganze. Er mußte wissen, auf welcher Seite Rossana stand, ob sie ihn wirklich noch liebte oder … ob sie eine Verräterin war.
»Willst du deinen Mann verlassen?« drang er in sie. »Willst du mit mir leben – von mir aus unverheiratet? Auch das können wir tun, obwohl es für keinen von uns besonders vorteilhaft ist. Es gibt nur eines, was ich nicht für dich tun kann, Liebling.«
»Was ist das?«
»Mit deinem Gewissen fertig werden. Das kann dir niemand abnehmen, und wir sind beide alt genug, es zu wissen. Ich fürchte, Barkis ist bereit.«
»Was soll das heißen?«
Er fuhr grinsend mit der Hand durch sein kurzes Haar.
»Ein englisches Sprichwort. Es heißt, daß du wohl einen Bräutigam hast, aber daß es an dir ist, den Hochzeitstag zu bestimmen.«
Einen Augenblick schwieg sie. Sie sah auf ihre Hände herunter und zog so heftig an den Ringen, daß er die Eindrücke bemerkte, die sie in die weiße Hand gegraben hatten.
»Richard, ich muß dir noch etwas sagen.«
»Ja?«
»Ich – ich glaube schon, wir könnten glücklich miteinander werden. Und doch ist da etwas, was ich nicht tun kann. Ich kann mein Glück nicht auf den Ruinen der Existenz meines Mannes aufbauen – eines Menschen, der trotz all seiner Rücksichtslosigkeit doch gut zu mir war. Das, so scheint mir jedenfalls, wäre ein Verrat an dem wenigen Guten, das noch in mir ist.«
»Auf dem Berg hast du gesagt, ich sollte die Story veröffentlichen.«
»Ich weiß … ich weiß.« Ihre Stimme war leise und unglücklich. »Auf dem Berg war ich verrückt vor Seligkeit. Überglücklich, daß ich dich getroffen und mit dir etwas gefunden hatte, was ich schon längst verloren glaubte. Jetzt weiß ich, es war eine Illusion. Ich kann es nicht. Ich werde dich heiraten, Richard. Oder ich werde auch so mit dir leben. Was immer möglich sein wird. Aber du mußt die Story aufgeben. Du darfst sie nicht veröffentlichen. Gott weiß, daß du vernünftig genug bist, es einzusehen. Dann, glaube ich, haben wir beide eine ehrliche Chance, glücklich zu werden.«
Da war es, nackt und atemberaubend. Der gleiche Handel, den Orgagna ihm vor einer Stunde vorgeschlagen hatte. Diese Leute verkauften alles – ihre Seelen, ihre Körper, die Menschen, die sie liebten –, nur um die letzten Fetzen ihrer Ehre zu retten. Er musterte sie voller Abscheu und Verachtung. Sie zog sich von ihm zurück, als ob er sie geschlagen hätte.
»Scher dich raus! Geh zu deinem Mann! Sag ihm, ich habe kein Interesse an diesem Vorschlag. Das kann ich auf den Straßen von Neapel billiger kaufen – da sind die Mädchen wenigstens ehrlich.«
Entsetzt starrte Rossana ihn an. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, und die Hand vor ihrem Munde zitterte. Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
»Du … du sagst das …«
»Um Gottes willen, scher dich raus!«
Langsam, wie in Trance, nahm sie das Handtuch, den Krug und die Ölflasche vom Nachttisch und ging zur Tür. In ihren Zügen lag nur Trauer, als sie sich umdrehte und zu ihm zurücksah. Ihre Stimme war fest, doch voll herzbrechenden Kummers.
»Du tust mir leid, Richard, mehr als du verstehen kannst. Du bist so zerfressen von Stolz und Ehrgeiz, daß du die Wahrheit einfach nicht sehen kannst, nicht einmal, wenn man sie dir vor die Augen hält. Nichts macht Eindruck auf dich. Nichts bedeutet dir etwas. Weder Liebe noch Mitleid, noch – noch Tod. Deine feinen Worte sind bloßer Hohn. Deine große Story ist Lug und Trug, weil du im Namen der Wahrheit deinen Ehrgeiz befriedigst und nach Gerechtigkeit schreist, um den Hass in deinem Herzen zu nähren. Gott möge dir helfen, Richard. Niemand sonst kann es.«
Sie wandte sich ab, eine gebeugte, geschlagene Gestalt. Die Tür schloß sich hinter ihr, wie die Tür zu einem verlorenen Paradies, aus dem er nun für alle Ewigkeit verstoßen war. Er schaltete das Licht aus und sah in die Dunkelheit. Er wußte jetzt, daß er die Story veröffentlichen mußte, koste es, was es wolle, wenn der Triumph auch wie Asche auf seiner Zunge schmecken mochte. Endlich fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Nach Mitternacht erwachte er. Schweißgebadet und erschrocken setzte er sich auf. Der Raum war dunkel und still wie ein Grab, und doch vibrierte sein ganzer Körper vor Furcht.
Dann hörte er es: ein gedämpftes Kratzen, als liefe eine Maus über den Steinboden.
»Wer ist da?« rief er leise.
Der Laut verstummte. Er hob die Hand und
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