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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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ihre Laster machten sie schnell arm. Aber sie alle erlagen einer Versuchung: »schnelles« Geld zu machen.
    Ashley hoffte, die noch ausstehenden fünfhundert Dollar würden Tullios Treue die kurze Reise nach Sorrent und zurück überleben lassen. Aber er wußte, daß er sich nicht darauf verlassen konnte.
    Elena Carrese trat auf die Terrasse. Trotz der Hitze trug sie einen leuchtend bunten Bauernrock, eine gestrickte Weste und darunter eine langärmelige weiße Bluse. Ashley rief ihr einen Gruß zu. Nach kurzem Zögern kam sie und setzte sich neben ihn.
    Ihre Hände zitterten nicht mehr, auch ihr Gesicht wirkte beherrscht. Doch aus der Tiefe ihrer dunklen Augen war der Groll noch nicht verschwunden. Ashley bot ihr eine Zigarette an und gab ihr Feuer. Sie rauchte stumm ein paar Züge.
    »Haben Sie es bekommen?« sagte sie dann leise.
    »Ja. Ich danke Ihnen. Wollen wir jetzt darüber sprechen?«
    »Nein. Bewahren Sie es gut und sicher auf. Es geht um Ihre und meine Sicherheit.«
    Er sah sie scharf an, doch ihr Gesicht war von ihm abgewandt. Sie starrte über die Gärten ins Weite.
    »Wovor haben Sie Angst?«
    »Angst?« Sie lachte bitter. »Ich habe keine Angst. Nicht mehr. Nie mehr.«
    »Was – was war gestern … nachdem Sie mich verließen?«
    »Mein Vater hat mich geschlagen.« Ihre Stimme klang flach und ausdruckslos. »Er hat mich wie ein schmutziges Bauernmädchen verprügelt. Darum bin ich so angezogen – um die Striemen zu verbergen. Er nannte mich ein Flittchen – und Schlimmeres. Weil er mich in Ihren Armen überrascht hat. Er drohte, mich zu töten, falls er mich je wieder in Ihrer Nähe sehen sollte. Als ich ihm ins Gesicht lachte, schlug er mich, wie er meine Mutter schlug. Bis er müde war und von mir lassen mußte. Ich möchte wissen …« Sie zog nervös an ihrer Zigarette, »… ich möchte wissen, was er sagen würde, wenn er von Vittorio und mir wüsste.«
    Ashley musterte sie verblüfft. »Weiß er denn das nicht?«
    Wieder lachte sie, ein trockenes, unglückliches kleines Lachen, das nicht zu ihren jungen Lippen paßte.
    »Wie könnte er? Er ahnt es nicht einmal. Für ihn ist Vittorio der große Herr, der ein armes kleines Bauernmädchen aus reiner Herzensgüte zur Signora gemacht hat, und der nun seine Güte voll macht und sie mit einem passenden jungen Mann verheiratet.«
    »Großer Gott!«
    »Mein Vater ist ein einfacher Mann«, fuhr Elena bitter fort. »Er glaubt an Gott und an das Haus Orgagna. Er glaubt an drei Arten Frauen: Jungfrauen, Ehefrauen und die anderen. Er schlägt mich, damit ich in der von Gott und Seiner Exzellenz für mich bestimmten Kategorie bleibe.«
    »Was würde geschehen, wenn er die Wahrheit erführe?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Elena dumpf. »Wahrscheinlich würde es für ihn das Ende der Welt bedeuten.«
    »Lieben Sie ihn?«
    »Nein. Ich … ich habe ihn auf eine gewisse Art gern. Aber ich habe ihn nie geliebt, wie ich meine Mutter geliebt habe. Er hat nie zu uns gehört. Er gehörte immer zum Haus Orgagna.«
    »Wissen Sie, daß er gestern im Garten versuchte, mich zu erstechen?«
    Sie nickte langsam.
    »Ja. Er sagte es mir, als er mich schlug. Er brüllte, ein zweites Mal würde es nicht misslingen. Ich glaube, wenn er in Wut gerät, ist er einfach irr.«
    Dann, vorsichtig und nüchtern, stellte Ashley die entscheidende Frage: »Wissen Sie, daß er Ihren Bruder umgebracht hat?«
    Mit einem Ruck wandte sie sich ihm zu. Ihr Mund stand offen, ihre Augen waren weit aufgerissen. Nur mühsam kamen die Worte über ihre Lippen.
    »Ist – ist das wahr?«
    Ashley legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. Er fürchtete eine Szene auf der offenen Terrasse. Man konnte sie von allen Fenstern aus beobachten, und Tullio Riccioli stand nur wenige Meter von ihnen entfernt.
    »Versuchen Sie, ruhig zu bleiben. Lassen Sie sich nichts anmerken!«
    Ihr Körper straffte sich, sie saß aufrecht und beherrscht, bemüht, sich unter Kontrolle zu bekommen.
    »Ich – ich passe schon auf«, murmelte sie. »Bitte, erzählen Sie.«
    Ashley sprach, so rasch er konnte. Jeden Augenblick konnte jemand auf die Terrasse kommen, und die Gelegenheit wäre verpasst.
    »Ich kann noch nichts beweisen. Aber ich bin überzeugt, Orgagna sagte Ihrem Vater, daß Garofano die Photokopien an sich gebracht habe. Irgendwer aus diesem Haus bezahlte den Barkeeper Roberto im Hotel dafür, über Rossanas und meine Absichten telephonisch zu berichten. Ich glaube, daß Ihr Bruder, als er nach unserem Streit das

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