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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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den Wein trinken, den Sie nie tranken, und sich der Lebensjahre erfreuen, die Sie verlieren. Sie sind ein Narr, ein sturer, dickköpfiger Narr. Wo sind die Photokopien?«
    »Unter … unter der Truhe«, flüsterte Ashley. »Unter der hinteren Ecke.«
    Orgagna atmete langsam und erleichtert auf. Mit raschen Schritten ging er zur Truhe, drückte sie mit der Schulter hoch, wie Ashley es getan hatte, zog den Umschlag darunter hervor und ließ die Truhe zu Boden fallen. Mit raschem Blick überzeugte er sich von der Echtheit der Dokumente. Dann warf er den Kopf zurück und lachte, lachte, lachte, Ashley öffnete die Augen.
    »Das Gegenmittel … um Gottes willen!«
    Noch immer lachend, trat Orgagna neben sein Bett. Sein Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an.
    »Wissen Sie, was ich jetzt tun werde?«
    »Sie … Sie haben einen Vertrag mit mir gemacht.«
    »Den werde ich einhalten. Aber dann werde ich Inspektor Granforte anrufen und ihm sagen, daß Sie krank und lästig sind und ich nicht länger die Verantwortung für Sie übernehmen kann. Ich werde ihn bitten, Sie in Gewahrsam zu nehmen und mit Ihnen zu verfahren, wie das Gesetz es verlangt. Was war es doch – Beamtenbestechung, nicht wahr? Und Mord.«
    »Um Gottes willen, Mensch! Sie haben was Sie wollen, können Sie mich …«
    Orgagna schlenderte zur Tür und zog die dicke Klingelschnur.
    Ein Dienstmädchen trat ein und glotzte den schmerzverkrümmt auf dem Bett liegenden Amerikaner mit weitaufgerissenen Augen an.
    »Lucia, bringen Sie dem Signore drei Löffel Rizinusöl«, sagte Orgagna obenhin. »Das Essen ist ihm nicht bekommen.«
    Dann wandte er sich an Ashley. Grinsend wie ein Schuljunge, sagte er auf englisch:
    »Es war der Fisch, Ashley, Sie haben ein schlechtes Stück erwischt. Ein alter, billiger Trick. Für den Erfolg muß ich den guten Carlo wirklich loben.«
    Orgagna ging lachend aus dem Zimmer, während Ashley sein Gesicht in die Kissen vergrub, geschüttelt von Wut, Erniedrigung und Schmerz.

12
    Nichts kann einen Mann so rasch und so gründlich aus der Fassung bringen wie eine altmodische, solide Fischvergiftung. Sein ganzer Körper gerät in Aufruhr, und sein Geist ist von Fieber und Verzweiflung umwölkt. Er wird sich selbst zum Ekel und den anderen zum Gegenstand spöttischen Mitleids. Er ist zu einer Hungerdiät verdammt, und zu langsamen, lästigen Stunden der Erholung.
    Das beste, was er tun kann, ist: abwarten und nicht zu wütend auf sich selbst sein. Ashley aber hatte sogar schon dann, wenn es ihm ausgezeichnet ging, so gut wie keine Geduld. Und jetzt war ihm der Gedanke an seine physische und moralische Erniedrigung alles andere als eine Hilfe.
    Die grinsende Italienerin trat ein und verabreichte ihm das Rizinusöl. Sie zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn zu. Dann ließ sie ihn mit einer Flasche Sodawasser und seinen eigenen, unerfreulichen Gedanken allein.
    Die Reportage seines Lebens war rettungslos verloren. Durch einen billigen, psychologischen Trick hatte Orgagna seine Niederlage in einen triumphalen Sieg verwandelt und seinen Feind Ashley zum Gegenstand des Gelächters gemacht, fetzt bereitete er die endgültige Erniedrigung vor, indem er ihn an Inspektor Granforte auslieferte, der ihn der Justizmaschine zum Fraß vorwerfen sollte.
    Während der langen Stunden, in denen seine Leiden langsam nachließen, überlegte Ashley, welche letzten Beweisstücke ihm gegen Orgagna verblieben waren. Der Fall war jetzt zu einer persönlichen Sache geworden. Zu einem Racheakt, ohne hochtrabende Rechtfertigungsgründe. Es galt, Orgagna des Mordes zu überführen.
    Je mehr er darüber nachdachte, um so geringer schienen ihm allerdings die Chancen. Der einzig greifbare Beweis war der Telefonanruf von der Villa Orgagna an den Barkeeper Roberto im Hotel Caravino sowie das Geld, das man Roberto für seinen Bericht über Ashley und Rossana gezahlt hatte. Der Rest waren Kombinationen und Spekulationen. Und auch was Roberto betraf, bezweifelte er sehr, daß es ihm gelingen würde, ihn im Zeugenstand zum Sprechen zu bringen. Was hatte er sonst noch vorzubringen?
    Carlos Angriff auf sein Leben? Dafür fehlten die Zeugen. Und selbst wenn er Zeugen gehabt hätte, bliebe der Gegenseite immer noch die durchaus plausible Erklärung, Carlo habe lediglich die Ehre seiner Tochter verteidigen wollen.
    Die Wachtelschützen? Lächerlich – genauso lächerlich wie die Geschichte, daß Orgagna versucht haben sollte, ihn zu vergiften, wo doch jeder Narr mit

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