Die Stunde des Jägers - EXOCET
überwucherten Feldweg. Dort stand ein Motorrad bereit, eine alte 350er BSA mit Geländereifen. Maschinen dieser Art benutzten die Bauern auf beiden Seiten der Grenze oft, um ihre Schafe zusammenzutreiben. Er setzte sich einen verbeulten alten Sturzhelm mit zerkratztem Visier auf, schwang sich auf die BSA und trat sie geschickt an. Der Motor brüllte los, und er fuhr weg.
Hinten an der Hauptstraße begann es zu regnen, und der Regen fiel noch immer auf Hans Wolfgang Baums nach oben gewandtes Gesicht, als der Milchwagen neben ihm anhielt. Genau in diesem Augenblick und fünfzehn Meilen weiter bog Cuchulain auf der BSA in einen Feldweg südlich von Clady ein und fuhr über die Grenze in die Sicherheit der Republik Irland.
Zehn Minuten später hielt er an einer Telefonzelle an, wählte die Nummer des Belfast Telegraph, verlangte die Nachrichtenredaktion und bekannte sich im Namen der Provisorischen IRA zum Mord an Hans Wolf gang Baum.
»Das verstehe ich einfach nicht«, sagte Ferguson. »Baum war überall beliebt, und die regionale katholische Gemeinde stand voll hinter ihm. Um den Standort Kilgannon für diese Fabrik mußte er mit seinem eigenen Vorstand einen zähen Kampf führen. Jetzt wird sie wahrscheinlich geschlossen, was bedeutet, daß es über tausend neue Arbeitslose gibt und Katholiken und Protestanten sich wieder gegenseitig an die Kehle fahren.«
»Ist das nicht genau die Absicht der Provisorischen IRA, Sir?«
»Das würde ich bezweifeln, Harry. Zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht. Das war ein schmutziger Anschlag: kaltblütiger Mord an einem von Grund auf guten Mann, den die Katholiken respektierten. Das kann der PIRA bei ihrer eigenen Gefolgschaft nur schaden. Deswegen verstehe ich das Ganze nicht.
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Eine Riesendummheit.« Er klopfte auf Baums Akte, die Fox mitgebracht hatte. »Baum traf sich heimlich mit McGuiness, der ihn des Goodwills der PIRA versicherte. Ganz gleich, was man sonst von ihm halten mag, McGuiness ist ein schlauer Mann. Viel zu schlau eigentlich, aber darauf kommt es jetzt nicht an.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das reimt sich einfach nicht.«
Das rote Telefon piepte. Er hob ab. »Ferguson.« Er lauschte kurz. »Jawohl, Herr Minister.« Er legte den Hörer auf und erhob sich. »Der Minister für Nordirland, Harry. Will mich sofort sprechen. Setzen Sie sich wieder mit Lisburn in Verbindung, mit dem Militärnachrichtendienst, oder was Ihnen sonst noch einfällt. Besorgen Sie sich alle verfügbaren Informationen.«
Eine gute Stunde später kam er zurück. Als er seinen Mantel ablegte, trat Fox ein.
»Das hat aber nicht lange gedauert, Sir.«
»Ja, er war kurz und bündig. Er ist sehr ungehalten, Harry, und die Premierministerin auch. Sie ist stinkwütend, und Sie wissen ja, was das bedeutet.«
»Will sie Resultate sehen, Sir?«
»Ja, und zwar gestern, Harry. In Ulster ist die Hölle los. Die protestantischen Politiker ziehen sich an der Sache hoch. ›Hab ich’s nicht gesagt?‹ tönt Paisley, wie üblich. Ja, und der deutsche Bundeskanzler war in Downing Street. Offen gesagt, er könnte nicht finsterer aussehen.«
»Da bin ich nicht so sicher, Sir. Dem Nachrichtendienst der Armee in Lisburn zufolge findet die PIRA diesen Fall mehr als ärgerlich und betont, nichts damit zu tun gehabt zu haben.«
»Sie hat aber die Verantwortung übernommen.«
»Seit der Reorganisation ihrer Befehlsstruktur wird sie sehr straff geführt, Sir. McGuiness ist unter anderem noch Chef des Oberkommandos Nord, und aus Dublin verlautet, daß er jede Beteiligung seiner Leute kategorisch abstreitet. Mehr noch, er
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ist über die Nachricht so wütend wie alle anderen auch. Er scheint viel von Baum gehalten zu haben.«
»Glauben Sie, daß es die INLA war?«
Die Irische Nationale Befreiungsfront hatte in der Vergangenheit rücksichtsloser zugeschlagen als die Provisorische IRA, wenn sie der Ansicht war, daß es die Lage rechtfertigte.
»Laut Nachrichtendienst nicht, Sir. Er hat eine gute Quelle nahe der Spitze der INLA.«
Ferguson wärmte sich am Feuer. »Wollen Sie andeuten, daß die andere Seite verantwortlich ist? UVF oder die Rote Hand von Ulster?«
»Auch bei diesen beiden Organisationen hat Lisburn gute Quellen, und die Antwort ist eindeutig negativ. Es war keine protestantische Organisation beteiligt.«
»Jedenfalls nicht offiziell.«
»Es hat nicht den Anschein, als sei überhaupt jemand offiziell
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