Die Stunde des Jägers - EXOCET
de Gaulle wartete Tony Hunter am Ausgang hinter Paßkontrolle und Zoll. Er war ein hochgewachsener Mann Mitte Dreißig. Sein weiches braunes Haar war zu lang, der braune Leinenanzug zerknittert, und er rauchte eine Gitane, die er nicht aus dem Mund nahm, während er den Paris Soir las und den Ausgang im Auge behielt. Nach einer Weile erschien Devlin. Er trug einen schwarzen BurberryTrenchcoat, einen schiefsitzenden alten Filzhut und eine einzige Reisetasche.
Hunter, der Devlins Bild und Personenbeschreibung über Draht erhalten hatte, ging ihn begrüßen. »Professor Devlin? Ich bin Tony Hunter. Ein Wagen steht bereit.« Sie hielten auf den Ausgang zu. »Hatten Sie einen guten Flug?«
»So etwas gibt’s nicht«, versetzte Devlin. »Vor tausend Jahren flog ich einmal in einem Dornier-Bomber für Englands Gegner von Deutschland nach Irland und sprang aus sechstausend Fuß mit dem Fallschirm ab. Das habe ich nie verwinden können.«
Sie erreichten Hunters Peugeot auf dem Parkplatz. Beim Losfahren meinte Hunter: »Übernachten können Sie bei mir. Ich habe eine Wohnung in der Avenue Foch.«
»Da muß es Ihnen aber gut gehen, wenn Sie in so einer feinen Gegend wohnen. Ich wußte gar nicht, daß Ferguson mit Goldsäcken um sich wirft.«
»Kennen Sie Paris gut?«
»Kann man wohl sagen.«
»Die Wohnung gehört mir, nicht der Behörde. Mein Vater starb letztes Jahr und hinterließ mir ein ansehnliches Vermögen.«
»Wo ist die junge Frau? Wohnt sie in der sowjetischen Bot
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schaft?«
»Himmel, nein. Man hat sie im Ritz untergebracht. Sie ist nämlich praktisch ein Star. Spielt vorzüglich. Gestern habe ich ein Mozart-Konzert mit ihr gehört. Welches, habe ich vergessen, aber sie war großartig.«
»Wie ich höre, kann sie sich frei bewegen?«
»Aber sicher. Die Tatsache, daß General Maslowski ihr Pflegevater ist, stellt das sicher. Ich bin ihr heute früh durch ganz Paris gefolgt. Luxemburg-Gärten, dann Mittagessen auf einem Schiff auf der Seine. Wie ich höre, hat sie morgen nur einen Termin, und das ist eine Probe am Nachmittag im Konservatorium.«
»Dann ist wohl der Vormittag die beste Zeit für eine Kontaktaufnahme.«
»Sollte man meinen.« Sie waren inzwischen im Herzen von Paris und fuhren gerade an der Gare du Nord vorbei. »Mit der Frühmaschine kommt aus Lo ndon ein Kurier mit Dokumenten, die Ferguson in aller Eile ausstellen ließ«, sagte Hunter. »Falscher Paß und so weiter.«
Devlin lachte laut auf. »Meint er vielleicht, sie käme auf meine Bitte gleich mit?« Er schüttelte den Kopf. »Verrückte Idee.«
»Kommt nur drauf an, wie man es ihr beibringt«, schlug Hunter vor.
»Wohl wahr«, stimmte Devlin zu. »Andererseits wäre es wahrscheinlich einfacher, ihr etwas in den Tee zu tun.«
Nun mußte Hunter lachen. »Wissen Sie was? Ich mag Sie, Professor, obwohl ich am Anfang etwas gegen Sie hatte.«
»Wieso denn?« fragte Devlin verwundert und neugierig.
»Ich war Captain der Rifle-Brigade. Diente in Belfast, Londonderry und South Armagh.«
»Ah, jetzt verstehe ich.«
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»Zwischen 1972 und 1978 wurde ich viermal dort eingesetzt.«
»Viermal zu oft.«
»Genau. Offen gesagt, was mich betrifft, sollte man Ulster den Indianern zurückgeben.«
»Der beste Vorschlag, den ich heute gehört habe«, meinte Devlin heiter, steckte sich eine Zigarette an und machte es sich mit dem Filzhut in der Stirn auf dem Beifahrersitz bequem.
In diesem Augenblick saß Generalleutnant Iwan Maslowski im KGB-Hauptquartier am Dserschinski-Platz an seinem Schreibtisch und dachte über die Cuchulain-Affäre nach.
Tschernys Nachricht war von Lubow weitergegeben worden und hatte Moskau erst vor zwei Stunden erreicht. Seltsamerweise erinnerte sie ihn an Drumore in der Ukraine und an Kelly im Regen mit der Waffe in der Hand, an den Mann, der nicht tun wollte, was man ihm befahl.
Die Tür ging auf, und sein Assistent, Hauptmann Igor Kurbski, kam mit einer Tasse Kaffee für ihn herein. Maslowski trank langsam. »Nun, Igor, was halten Sie davon?«
»Meiner Ansicht nach hat Cuchulain seine Aufgabe vorzüglich erledigt, Genosse General, über so viele Jahre hinweg. Aber nun…«
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Maslowski. »Da der britische Geheimdienst jetzt von seiner Existenz weiß, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er zur Strecke gebracht wird.«
»Und Tscherny könnten die Briten jeden Augenblick
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