Die Stunde des Löwen
Wäsche waschen konnten. In einem Aufenthaltsraum standen sogar Computer, mit denen im Internet gesurft werden durfte.
Im letzten der drei Aufenthaltsräume hockte tatsächlich ein etwa fünfundzwanzigjähriger Punk breitbeinig auf einem Stuhl. Den Blick auf eine Gruppe bärtiger Männer gerichtet, die in eine hitzige Diskussion verstrickt waren, kraulte er das Fell seines zu seinen FüÃen sitzenden Border Collies.
Born wusste sofort, weshalb ihm seine Kumpels den Spitznamen Sid verpasst hatten. Nicht nur wegen des Outfits â der abgewetzten Lederjacke, dem Nietengürtel, den Röhrenjeans und der um den Hals hängenden Metallkette mit dem Vorhängeschloss â, sondern auch wegen des Stachelhaarschnitts und der täuschend ähnlichen Physiognomie, mit denen er spielend leicht als Double von Sid Vicious agieren könnte, dem legendären Bassisten der Sex Pistols, der irgendwann Ende der Siebziger an einer Ãberdosis Heroin gestorben war.
»Was dagegen, wenn ich mich einen Moment zu dir setze?«
Der junge Punk hob kurz den Kopf und grinste. »Bullen, Bonzen und Faschopack â walzen täglich Menschen platt.«
»Wie bitte?«
»Tu nich so. Du bist doch Bulle, oder?«
»Ja, aber â¦Â«
»Okay, dann setz dich, wenn du mir die Fotos nicht im Stehen zeigen willst.«
»Woher wissen Sie ⦠äh, du, dass ich â¦Â«
Sid holte ein Handy aus seiner Lederjacke. »Von meinem Pack. Denen hast du die Fotos ja eben auch gezeigt.«
Das stimmte. Die Buschtrommeln funktionierten offenbar zuverlässig.
»Ich hab mir sagen lassen, dass du letzte Woche vor dem âºVenusâ¹ mit einer älteren Dame gesprochen hast.«
»So, das hast du dir also sagen lassen. Von wem denn?«
»Das tut nichts zur Sache.«
»Dann kannst du deinen Arsch gleich wieder erheben und dich verpissen.«
»War es die?«, fragte Born und legte das Foto von Selma Tassen auf den Tisch.
»Was springt für mich raus, wenn ichâs dir sag?«
Als Born einen Zwanzig-Euro-Schein aus seinem Portemonnaie holte, erhob sich der Border Collie und gähnte.
»Ja, mit der blöden Fotze hab ich kurz gesprochen.«
»Um was ging es bei eurem Wortwechsel?«
»Ums Ãbliche. Kleingeld.«
»Hat sie dir was gegeben?«
»Willst du mich verarschen, Mann? Wär sie dann für mich âne Fotze? Die Alte hat mir in den Becher gespuckt.«
»Was hat sie? Dir in den Becher gespuckt?«, fragte Born und versuchte, sich die Situation vorzustellen. »Und was passierte dann?«
»Als ich die Rotze auf den Münzen gesehen hab, bin ich ausgetickert. Hab sie angeschrien, dass das so nich läuft. Aber die Alte hat mich nur ausgelacht und gefragt, was ich denn dagegen machen will. Ob der Abschaum jetzt vorhat, sich an einer älteren Dame zu vergreifen.«
»Und dann?«
»Hab ich der Alten gesteckt, dass sie sich nicht alles rausnehmen kann. Sie hat geantwortet: âºDoch, du kleiner Lakai, doch.â¹ Dann hat sie sich umgedreht und ist die StraÃe runter.«
»Und du?«
»Erst war ich total angepisst. Bin ihr noch bis zur nächsten Kreuzung nach. Aber da ist sie schon zu so ânem Typ ins Auto gestiegen.«
*Â *Â *
Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken, als Jan sie auf den Nacken küsste. Lächelnd reichte er ihr das Fläschchen über die Schulter, bevor er sich wieder in seine heià geliebte Poggenpohl-Küche begab, um Pasta alla puttanesca zuzubereiten.
Mit dem Zeigefinger am Glas prüfte sie, ob die Milch die richtige Temperatur hatte. Zufrieden mit dem Resultat, lieà sie sich im Sessel nieder. Ihren kleinen Sohn im SchoÃ, legte sie die FüÃe auf den Hocker, um die etwa viertelstündige Fütterung so bequem wie möglich zu gestalten.
Henry schmatzte ein wenig, als seine rosa Minilippen am Sauger des Fläschchens andockten. Nach dem Abstillen hatte sie sich anfangs noch gewundert, welch enorme Mengen so ein kleiner Wurm verputzen konnte.
Den trinkenden Säugling im Arm, merkte sie erst in der Stille des halbdunklen Zimmers, welch anstrengender Tag hinter ihr lag. Vormittags der Besuch in der Wiesbadener Unfallklinik bei Milan Tassen und nachmittags die Zeugenbefragungen in der »Schirn« und anschlieÃend noch in diesem unsäglichen Sexshop in der KaiserstraÃe. Sie war gespannt auf Jans Kommentar, wenn sie ihm beim
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