Die Stunde des Löwen
einem kleinen Metallring, der sich seitlich durch die Unterlippe zog â vermittelte die Frau mit ihren üppigen Rundungen einen eher mütterlichen Eindruck.
»Ãh ⦠meinen Sie mit dem hier?« Seine Hand kreiste vage über den DVD -Hüllen.
»Auch das, wenn Sie wünschen. Sie sind aber doch Polizist, oder?«
»Sieht man mir das so sehr an?« Er schaute verdutzt an sich herab.
»Nein, aber mein Kollege hat mir vorhin erzählt, dass die Polizei hier war. Und dann hat er mir Sie und Ihre Kollegin auf dem Ãberwachungsvideo gezeigt.«
Einen Moment lang sagte keiner von beiden etwas. Im Hintergrund lief in einer Dauerschleife die Akustikversion von Serge Gainsbourgs »Je tâaime«.
»Richtig«, unterbrach er das Schweigen. »Ich bin noch mal in den Laden gekommen, um Ihnen die gleiche Frage zu stellen wie Ihren Kollegen heute Nachmittag.«
Während er das Foto von Selma Tassen aus der Manteltasche kramte, tauchte ein junger Mann auf, der sich bei der muttihaften Blondine erkundigte, in welchem der Kinos Gay-Filme gezeigt wurden.
Nachdem die Frage beantwortet war, wandte sich die Verkäuferin wieder ihm zu. »Die Dame auf dem Foto da. Ist das das Mordopfer?«, fragte sie.
Er nickte.
»Ja, die Frau hab ich tatsächlich schon mal hier gesehen.«
»Sie erinnern sich also an Selma Tassen?«
»Sonst könnte ich das ja nicht behaupten.«
»Ist Ihnen an der Frau etwas Besonderes aufgefallen?«
»Nicht direkt. Vom Typ her erinnert sie mich an meine Tante.«
»Wissen Sie auch noch, was sie gekauft hat?«
»Ja, sie war erst letzten Freitag hier. Eine Tube âºWarming Glideâ¹. Das ist ein Gleitmittel, das gern genommen wird.«
»War sie allein hier?«
»Soviel ich weiÃ, schon.«
»Hatte sie mit jemandem Kontakt?«
»Hier im Shop nicht.«
»Aber woanders?« Er schaute die Verkäuferin fragend an.
»Gleich vor der Tür. An der Kreuzung zur MoselstraÃe. Da hängen oft ein paar Schnorrer rum. Einer wird Sid genannt. Er ist der Ãlteste, der mit dem Border Collie. Am Freitag war er aber ohne seine Kumpels unterwegs.«
»Und mit diesem Sid hat die Frau auf dem Foto gesprochen?«
»Ja. Um was es ging, konnte ich nicht verstehen. Der Körpersprache und Gestik nach zu urteilen, kann es aber nichts Nettes gewesen sein.«
Nur wenige Meter vom Eingang des Sexshops entfernt trieb sich tatsächlich eine Gruppe Jugendlicher herum, die ihm bei seiner Ankunft nicht aufgefallen war. Punks oder Möchtegernpunks, die die Rotschaltung der Ampel ausnutzten, um wartende FuÃgänger anzuschnorren.
»Ist einer von euch Sid?« Born blickte die Punks der Reihe nach an und hielt seinen Dienstausweis in die Höhe. Einen Border Collie führte keine der abgerissenen Figuren mit sich.
»Haste mal Kleingeld fürn Bus?« Ein Typ mit schwarz-blond geschecktem Irokesenschnitt hielt ihm einen zur Hälfte mit Münzen gefüllten Pappbecher hin.
»Und, ist jetzt einer von euch Sid?«, wiederholte er seine Frage und schaute in die grinsenden Gesichter um ihn herum. »Euer Kumpel, der mit dem Border Collie, der heiÃt doch Sid, oder?«
»Steht garantiert so in seinem Geburtsschein«, sagte ein kleines pummeliges Mädchen mit zerrissenen Netzstrumpfhosen und Dr.-Martens-Stiefeln. Am Oberkörper trug sie eine nietenbesetzte Bondage-Jacke mit dem auffälligen Logo der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands auf dem Arm.
»Es is scheiÃekalt«, meldete sich der Typ mit dem Irokesenschnitt wieder zu Wort. »Lass ân paar Euro springen, dann können wir uns beim Mäc wenigstens ânen Kaffee reinpfeifen.«
Born kam der Aufforderung nach und lieà einen Fünf-Euro-Schein in den Pappbecher gleiten. »Und?« fragte er erwartungsvoll.
»Probierâs mal im âºTreffâ¹Â«, antwortete das pummelige Mädchen. »Da wollte Sid zum Duschen hin.«
Born hielt ihnen noch die Fotos der beiden toten Frauen unter die Nasen â mit dem enttäuschenden Ergebnis, dass keiner der Jugendlichen die Mordopfer erkannte â, dann machte er sich auf den Weg.
Mit »Treff« meinte die kleine Punkerin die Begegnungsstätte in der Münchener StraÃe. Seit etlichen Jahren betrieb dort der »Grenzenlos e.  V.« eine soziale Beratungsstelle und einen Tagestreff, in dem Obdachlose essen, duschen und ihre
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