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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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einem kleinen Metallring, der sich seitlich durch die Unterlippe zog – vermittelte die Frau mit ihren üppigen Rundungen einen eher mütterlichen Eindruck.
    Â»Ã„h … meinen Sie mit dem hier?« Seine Hand kreiste vage über den DVD -Hüllen.
    Â»Auch das, wenn Sie wünschen. Sie sind aber doch Polizist, oder?«
    Â»Sieht man mir das so sehr an?« Er schaute verdutzt an sich herab.
    Â»Nein, aber mein Kollege hat mir vorhin erzählt, dass die Polizei hier war. Und dann hat er mir Sie und Ihre Kollegin auf dem Überwachungsvideo gezeigt.«
    Einen Moment lang sagte keiner von beiden etwas. Im Hintergrund lief in einer Dauerschleife die Akustikversion von Serge Gainsbourgs »Je t’aime«.
    Â»Richtig«, unterbrach er das Schweigen. »Ich bin noch mal in den Laden gekommen, um Ihnen die gleiche Frage zu stellen wie Ihren Kollegen heute Nachmittag.«
    Während er das Foto von Selma Tassen aus der Manteltasche kramte, tauchte ein junger Mann auf, der sich bei der muttihaften Blondine erkundigte, in welchem der Kinos Gay-Filme gezeigt wurden.
    Nachdem die Frage beantwortet war, wandte sich die Verkäuferin wieder ihm zu. »Die Dame auf dem Foto da. Ist das das Mordopfer?«, fragte sie.
    Er nickte.
    Â»Ja, die Frau hab ich tatsächlich schon mal hier gesehen.«
    Â»Sie erinnern sich also an Selma Tassen?«
    Â»Sonst könnte ich das ja nicht behaupten.«
    Â»Ist Ihnen an der Frau etwas Besonderes aufgefallen?«
    Â»Nicht direkt. Vom Typ her erinnert sie mich an meine Tante.«
    Â»Wissen Sie auch noch, was sie gekauft hat?«
    Â»Ja, sie war erst letzten Freitag hier. Eine Tube ›Warming Glide‹. Das ist ein Gleitmittel, das gern genommen wird.«
    Â»War sie allein hier?«
    Â»Soviel ich weiß, schon.«
    Â»Hatte sie mit jemandem Kontakt?«
    Â»Hier im Shop nicht.«
    Â»Aber woanders?« Er schaute die Verkäuferin fragend an.
    Â»Gleich vor der Tür. An der Kreuzung zur Moselstraße. Da hängen oft ein paar Schnorrer rum. Einer wird Sid genannt. Er ist der Älteste, der mit dem Border Collie. Am Freitag war er aber ohne seine Kumpels unterwegs.«
    Â»Und mit diesem Sid hat die Frau auf dem Foto gesprochen?«
    Â»Ja. Um was es ging, konnte ich nicht verstehen. Der Körpersprache und Gestik nach zu urteilen, kann es aber nichts Nettes gewesen sein.«
    Nur wenige Meter vom Eingang des Sexshops entfernt trieb sich tatsächlich eine Gruppe Jugendlicher herum, die ihm bei seiner Ankunft nicht aufgefallen war. Punks oder Möchtegernpunks, die die Rotschaltung der Ampel ausnutzten, um wartende Fußgänger anzuschnorren.
    Â»Ist einer von euch Sid?« Born blickte die Punks der Reihe nach an und hielt seinen Dienstausweis in die Höhe. Einen Border Collie führte keine der abgerissenen Figuren mit sich.
    Â»Haste mal Kleingeld fürn Bus?« Ein Typ mit schwarz-blond geschecktem Irokesenschnitt hielt ihm einen zur Hälfte mit Münzen gefüllten Pappbecher hin.
    Â»Und, ist jetzt einer von euch Sid?«, wiederholte er seine Frage und schaute in die grinsenden Gesichter um ihn herum. »Euer Kumpel, der mit dem Border Collie, der heißt doch Sid, oder?«
    Â»Steht garantiert so in seinem Geburtsschein«, sagte ein kleines pummeliges Mädchen mit zerrissenen Netzstrumpfhosen und Dr.-Martens-Stiefeln. Am Oberkörper trug sie eine nietenbesetzte Bondage-Jacke mit dem auffälligen Logo der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands auf dem Arm.
    Â»Es is scheißekalt«, meldete sich der Typ mit dem Irokesenschnitt wieder zu Wort. »Lass ’n paar Euro springen, dann können wir uns beim Mäc wenigstens ’nen Kaffee reinpfeifen.«
    Born kam der Aufforderung nach und ließ einen Fünf-Euro-Schein in den Pappbecher gleiten. »Und?« fragte er erwartungsvoll.
    Â»Probier’s mal im ›Treff‹«, antwortete das pummelige Mädchen. »Da wollte Sid zum Duschen hin.«
    Born hielt ihnen noch die Fotos der beiden toten Frauen unter die Nasen – mit dem enttäuschenden Ergebnis, dass keiner der Jugendlichen die Mordopfer erkannte –, dann machte er sich auf den Weg.
    Mit »Treff« meinte die kleine Punkerin die Begegnungsstätte in der Münchener Straße. Seit etlichen Jahren betrieb dort der »Grenzenlos e.   V.« eine soziale Beratungsstelle und einen Tagestreff, in dem Obdachlose essen, duschen und ihre

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